Peter Schulthess, Franz Brander, Roland Mahler

Universitätslehrgang Psychotherapeutische Psychologie

Ein erfolgreiches Bildungsprojekt in der Ausbildung zur Psychotherapie findet nach 18 Jahren seinen Abschluss

Peter Schulthess, Präsident der Schweizer Charta für Psychotherapie

Insgesamt 20 Jahre gab es das Ergänzungsstudium Psychotherapie Wissenschaft, die letzten 10 Jahre hiess es Universitätslehrgang Psychotherapeutische Psychologie UPP.

Der 4. Durchgang des UPP fand Ende 2014 seinen Abschluss. Er wird nicht mehr weiter angeboten. Er war konzipiert worden, um jenen Personen, welche von anderen sozialwissenschaftlichen Grundberufen als der Psychologie her in eine psychotherapeutische Weiterbildung eintreten wollten, die Möglichkeit zu geben, das dafür notwendige psychotherapierelevante Grundlagenwissen zu erwerben. An Schweizer Hochschulen war das so nicht möglich, weswegen eine Kooperation mit einer ausländischen Universität gesucht und gefunden wurde.

Viele Kantone mit einer Äquivalenzregelung zum Psychologiestudium in ihren kantonalen Gesetzen anerkannten diesen Werdegang. Seit Inkraftsetzung des PsyG können aber nur noch Hauptfach-PsychologInnen in eine Weiterbildung in Psychotherapie einsteigen, so dass es den Quereinstieg aus anderen sozialwissenschaftlichen Studienabschlüssen mit Ergänzung des psychotherapierelevanten Grundlagenwissens nicht mehr geben kann.

Aus Anlass der Beendigung dieses Lehrganges sollen hier einige geschichtliche Fakten zur Konzipierung dieses Angebotes, sowie die Reden der beiden Studienleiter anlässlich der Abschlussfeier wiedergegeben werden.

Der UPP hat eine lange Geschichte:

1993/94 arbeitete eine Expertenkommission daran, eine erste gesetzliche Regelung für die Psychotherapie im Rahmen der Revision des Medizinalberufegesetzes (MedBG) zu entwerfen. Die sogenannte Kommission Fleiner fällte damals einen wichtigen Vorentscheid: Es sollte gemäss Vorschlag der ASP nicht nur das Medizin- oder Psychologiestudium zur Weiterbildung in Psychotherapie führen, sondern auch ein anderes Studium verbunden mit einer Nachqualifikation in psychotherapierelevantem Grundlagenwissen.

Im Mai 1994 beauftrage der ASP Vorstand Franz N. Brander, ein entsprechendes Ergänzungsstudium Psychotherapie Wissenschaft zu konzipieren. Die Verantwortung wurde der Charta übertragen, welche im September 1994 eine Studienleitung und einen Studienrat wählte.

Das Fächerspektrum sah wie folgt aus:

1994-2004 konnte dieses Ergänzungsstudium unter der Verantwortung der Charta 5-mal durchgeführt werden. Um das universitäre Niveau zu gewährleisten, wurden ausschliesslich universitäre Dozierende als Lehrende engagiert.

Leider verliefen dann die Arbeiten der Kommission Fleiner hinsichtlich der Regelung der Psychotherapie ergebnislos. Das BAG entschied, die Psychotherapie in einem separaten Gesetz zu regeln. Ein parlamentarischer Vorstoss verlangte zudem einen generellen Titelschutz für Psychologen und forderte damit die Regelung aller psychologischen Berufe. Anstatt einerseits ein Psychotherapiegesetz und andererseits ein Psychologiegesetz zu erlassen (wie in anderen europäischen Ländern), sollte nun neu die Psychotherapie im Rahmen eines Psychologieberufegesetzes geregelt werden, was vorwegnahm, dass die Psychotherapie in der Schweiz (analog zu Deutschland und Italien) als psychologischer und nicht als eigenständiger Beruf (analog Österreich) geregelt würde.

Natürlich versuchten die Delegierten der ASP und der Charta im Rahmen der Vorarbeiten zum PsyG mit aller Entschiedenheit, den Zugang zur Psychotherapie analog der Idee der Kommission Fleiner und unseres mittlerweile realisierten Nachqualifikationsangebotes zu erhalten. Letztlich vergeblich. Der Einfluss der Psychologieverbände war im BAG (insb. nach dem Weggang des Abteilungsleiters Beat Sottas) und im Parlament gewichtiger.

Im Zusammenhang mit dem Gesetzgebungsprozess schien es ratsam, dieses Ergänzungsstudium zur Nachqualifikation in psychotherapierelevantem Grundlagenwissen einer Hochschule anzugliedern, damit es auch zu einem akademischen Abschluss führte.

Mit der Donau Universität Krems wurde ein idealer Partner gefunden, welcher sich auf akademische postgraduale Weiterbildung spezialisiert hatte. Der Studiengang musste an die universitären Erfordernisse angepasst werden, behielt aber inhaltlich sein Fächerspektrum. Er schloss nun mit einem österreichischen Master of Science ab, doch ist dies in Österreich ein Weiterbildungstitel und nicht wie bei uns ein Abschlusstitel eines konsekutiven Studiums. Damit erfüllt er die Kriterien des PsyG nicht und kann nicht als Äquivalent zu einem Hauptfachstudium in Psychologie gelten.

Es ist bedauerlich, dass der Gesetzgebungsprozess so ausging, denn es gibt wohl kaum ein Psychologiestudium, welches praxisnah so gut auf die Weiterbildung in Psychotherapie vorbereitete. In der Schwester-Zeitschrift „Psychotherapie Wissenschaft“ findet sich im Heft 2-2014 eine wissenschaftliche Evaluation des UPP, welche dies unterstreicht.

Die Idee, Psychotherapie als eigenständigen wissenschaftlichen Beruf zu sehen (was schon das Bundesgericht in den 90er Jahren erkannte), welcher (wie etwa die Medizin) auf den Grundlagen verschiedener Grundlagenwissenschaften beruht, war für die Schweiz wohl etwas zu zukunftsweisend. Das soll uns nicht hindern, uns weiterhin für eine Weiterentwicklung dieses Berufsbildes und der Psychotherapie als eigener wissenschaftlicher Disziplin einzusetzen.

Ich möchte an dieser Stelle allen Beteiligten danken, welche in den vergangenen 20 Jahren die kompetente Durchführung dieses anspruchsvollen Lehrganges als bildungspolitische Initiative ermöglichten: Den verschiedenen Mitgliedern der Studienleitung, des Studienrates, den zuständigen Personen der Donau Universität Krems und den AbsolventInnen.

Rede zur Graduierungsfeier 2014

Roland Mahler, Mitglied der Studienleitung

Liebe Absolventinnen, liebe Absolventen des Universitätslehrganges in Psychotherapeutischer Psychologie der Donau Universität Krems in Zusammenarbeit mit der Schweizerischen Charta für Psychotherapie (bzw. der ASP),

ihr Weg der Ausbildung in den Fächern der psychotherapeutischen Psychologie ist zu Ende. Sie haben gestern und heute die letzten Hürden auf der Geraden zum Ziel, dem Master of Science in Psychotherapeutischer Psychologie, genommen. Ich möchte Ihnen im Namen der Lehrgangsleitung nochmals ganz herzlich gratulieren!

Die Psychotherapie ist eine Aufgabe, die man mit gutem Recht als Profession bezeichnet, als einen Beruf, der sich, dem Begriff der „Professio“ folgend, an einem entschiedenen Bekenntnis (profiteri) orientiert und mit einer entsprechenden Rechenschaftspflicht versehen ist. Was aber ist diese „Professio“, wozu haben sie sich entschieden, wozu bekennen sie sich und in welcher Weise und vor wem legen sie diese Rechenschaft ab?

Psychotherapie bekennt sich zum Menschen, als einem Wesen in Entwicklung und Veränderung. Trotz all der biologischen Funktionaltäten und den festlegenden und prägenden Erfahrungen des Lebens. Trotz all der Sackgassen und Dilemmata, in welche Menschen geraten, ist und bleibt dieser Mensch ein Wesen, das sich nicht nur anpasst, sondern sich auch entfaltet, sich findet, sich er-findet. Er (der Mensch) vermag sich selbst in scheinbar ausweglosen Situationen erstaunlicherweise oft in einem neuen Licht zu sehen und neu zu erleben. Insofern gleicht die Psychotherapie als Aufgabe jener Wirksamkeit des antiken Philosophen, der seine Tätigkeit, auf den Beruf seiner Mutter anspielend, als „Maieutikä technä“, als Hebammenkunst bezeichnete. Diese bekanntlich dem Philosophen Sokrates zugeschriebene Bezeichnung trifft in der Tat den Kern psychotherapeutischer Prozesse: Menschen auf dem Weg ihrer Geburt, auf dem Weg ihrer Erneuerung, ihrer Selbst-Aktualisierung (bekanntlich ein Begriff der Gesprächspsychotherapie) oder - wie man auch sagen könnte – ihrer Selbstvergegenwärtigung unterstützend zu begleiten. Darum geht es im Grunde. Welche Methoden dabei auch immer zum Zuge kommen, der Mensch als der potentiell andere und verglichen mit seiner Vergangenheit bzw. seinem alten Selbst neue, weil gegenwärtige Mensch, ist das Mass allen psychotherapeutischen Handelns.

Die Anteilnahme an diesem Geschehen macht die „Professio“ des Psychotherapeuten zu einem Bekenntnis zum Leben als fortschreitendem Prozess, als Weg, der nicht nur selber das Ziel ist, sondern der auf den einzelnen Menschen in seiner Situation, in seinem Handeln und Erleben zielt und dabei das Leben in seiner konkreten Einzigartigkeit zum Gelingen bringen will – möglicherweise auch trotz unabänderlicher Gegebenheiten. Meine Damen und Herren, darin liegt das Privilegium und zugleich die Last unseres Berufes. Ersteres zeigt sich in gleichsam induktiven Lebendigkeit, an welcher wir bewusst oder unbewusst teilhaben können und über die es sich zu freuen gilt, letzteres in der Begrenztheit der Lebensmöglichkeiten, welche oft als schmerzhaft empfunden werden – von Klienten ebenso wie von Therapeuten.

Im Bekenntnis zum Menschen in seiner zerbrechlichen und zugleich plastischen Menschlichkeit liegt das Proprium der Psychotherapie, über welches der professionell arbeitende Psychotherapeut auch Rechenschaft ablegt, indem er sein Handeln und Arbeiten vor sich selbst reflektiert und vor einer fachlichen Instanz (etwa einer supervisorischen Begleitung) zur Diskussion stellt. Zu dieser Selbstreflexion sollten sie aufgrund ihrer Ausbildung hier an der Donau Universität und an ihrem jeweiligen Ausbildungsinstitut befähigt sein. Die Supervision ist eine Notwendigkeit, welche im Wissen um die eigene Begrenztheit gründet.

Ich wünsche Ihnen, liebe LehrgangsabsolventInnen, den Mut zum Bekenntnis zum lebendigen Menschen, die Ausgewogenheit eines selbstkritischen Nachdenkens bezüglich ihres therapeutischen Handelns und die ernsthafte und wohlmeinende Infragestellung desselben durch einen qualifizierten äusseren Mitwisser.

Universitätslehrgang Psychotherapeutische Psychologie - Feier 2014

Franz N. Brander

Sie alle sind zu loben ob der vielen Arbeit, die Sie in den letzten 2 ½ Jahren geleistet haben und dafür ist Ihnen ein Kränzchen zu winden, haben Sie doch eine Fülle von Kenntnissen über wissenschaftliche Ergebnisse und eine Unzahl von Methode angeeignet wie sonst kaum in ihrem Leben. Zudem haben die Details, teils private, über die Dozierenden erfahren, die sie menschlich, ja geradezu allzu menschlich machten. Es passt zu jenem Dozierenden, der in seiner wissenschaftlichen Tätigkeit als Löwe lossprang und als Bettvorleger landete und in der Folge dank seiner Eloquenz den Preis der goldenen Eule als Sympathiepreis und ein Jahr später den Credit Swiss Award for best Teaching erhielt. Dies ist nicht so privat, konnte man es doch vor kurzem in der Beilage zum Tages-Anzeiger lesen. Auch jenes Schmunzeln des Dozierenden wird Ihnen in Erinnerung bleiben, das er bei der Erwähnung mit der Neubezeichnung des Histrionischen das Hysterische beseitigen zu wollen, kaum merklich von sich gab, auch wenn mit dem Histrionischen die Gebärmutter noch deutlicher bezeichnet wird.

Ihnen wurden sehr viele Konzepte von Humanwissenschaften vermittelt. Ich entnehme aus Ihren Masterthesen, dass die Psychologie völlig in der Neurowissenschaft aufgegangen ist. Insbesondere zu den Emotionen gibt es viele Forschungen. Jan Plamper fragt sich in Geschichte und Gefühl. Grundlagen der Emotionsgeschichte, ob wir immer das gleiche meinen, wenn wir von Emotionen sprechen? Meinte Wilhelm Wundt, der Physiologe und Psychologe mit seinen Forschungen zur Gemüthsbewegung 1928 das gleiche wie die Franzosen Gilles Deleuze und Félix Guttari 1980 zu den affects, der englische Philosoph Massumi 2002 ebenfalls zu affect, der italienische Kriminologe Cesare Lombroso zu emozioni? Besteht genügend Einheit im Bedeutungsgehalt, der es uns erlaubt, diese sehr unterschiedlichen Bezeichnungen aus verschiedenen Feldern, Zeiten und Kulturen unter dem Begriff «Emotion» zu verhandeln? Paul Ekmans Basalemotionen sind Ihnen als das weltumspannende Allgemeingültige vermittelt worden. Dazu kam es, dass für die nötigen Forschungsfotos Personen gebeten wurden, für einen Moment den dazu spezifischen reinsten Gesichtsausdruck zu gestikulieren. Und dabei sollten sich die Probanden nicht beobachtet gefühlt haben, was ohne Einfluss auf sie hätte sein sollen? Ekmans Versuche versprechen, Emotionen seien für andere unmissverständlich und wahrhaft ablesbar, unabhängig von der Person, die sie verspürt, unabhängig davon, was sie verspürt, und unabhängig davon, wie sie das Verspürte lenkt, welchen bewussten oder unbewussten Einfluss sie also auf ihre Emotionen nimmt.

Es ist kaum verwunderlich, dass Ekman nach 9/11 Spiritus Rector des Anti-Terror-Programms Screening Passengers by Observational Technique SPOT wurde. Seit 2012 screenen SPOT-Maschinen an den amerikanischen Flughäfen die «Mikroausdrücke» von Passagieren. Jene, die etwas zu verbergen haben oder lügen, werden anhand dieser Mikroausdrücke aus den Warteschlagen herausgebeten und zu Verhören weggeführt. Kritiker baten Ekman aufgrund der unnötigen Verletzung der Privatsphäre um die Offenlegung und Publikation der Forschung, welche die Korrelationen zwischen den Mikroausdrücken und den entsprechenden Verhaltensweisen belegen könnten. Wenn Ekman meint, es wäre fahrlässig diese Kenntnisse bei der Fahndung nach Terroristen nicht einzusetzen, ja es wäre gerade kriminell seine Forschungen zu publizieren, weshalb er diesem Ansinnen nicht zustimmen könne, dann wundern wir uns vielleicht.

Die weitere Erkenntnis zu den Somatic Markern von Antonio Damasio, die Furore macht meint, Prägeeindrücke oder Spuren von Emotionskörperausdrücken an der Peripherie wie beispielsweise an der Haut, den Händen und Haaren erscheinen im ventromedialen präfrontalen Kortex. Die Somatic Marker Hypothese fusst auf der Iowa Gambling Task, bei der mit Spielkarten von verschiedenen Stapeln $ 250 gewonnen oder verloren werden können. Dabei ist leicht zu lernen, von welchem Stapel die gezinkten Karten bezogen werden können. Antonio und Hanna Damasios Patienten mit Hirnarealverlusten als Folge von Hirntumoren erkannten die gezinkten Karten nicht. Sie litten an Zukunftskurzsichtigkeit. Auch HIV-Positive und schwer Drogenabhängige teilen dieses Schicksal. Nun gelten diese Ergebnisse nicht nur für an ventromedial präfrontalem Kortex Lädierte, sondern auch für ein Fünftel aller Gesunden wie es die vielen Repliken des Experiments ergab. Was sagt die Iowa Gambling Task aus, wenn Gesunde, die im Alltagleben bestens zurechtkommen, ebenso schlecht abschneiden wie Patienten mit Hirnläsionen? Auch können wir gespannt sein, ob sich die bei Psychotherapeuten beliebte neurowissenschaftliche Spiegelneuronenhypothese von Giacomo Rizzolatti und Vittorio Galleses den Spiegel vorhalten lässt? Mit ihr wurde das Lächeln, das Gähnen, die Empathie, die Liebe, der Spracherwerb bei Kindern, die Religion, die Theory of Mind, ja die Kultur überhaupt, der Haarausfall, die Impotenz oder der Autismus erklärt. Bei ihr wurden Aktivitäten im prämotorischen Kortex festgestellt, wenn Affen nach einer Nuss griffen und diese zum Mund führten oder diese Bewegung nur beobachteten. Die sogenannten Spiegelneuronen entpuppten sich als sensomotorische Neuronen, die Lebewesen befähigen zwischen Menschen zu unterscheiden, die ihnen Futter oder Steine zuwerfen. Spiegelneuronen sollen dank ihren assoziativen und objektbezogenen Funktionsmöglichkeiten Bezugsbedeutung schaffen können. Wie würden doch Farbtupfer in den Wissenschaften fehlen, wenn Rizzolatti und Gallese bei ihren ursprünglichen Erkenntnissen geblieben wären und weiter über Bewegungsabläufe nachgedacht hätten, statt eine Spiegelqualität von Nervenzellen heraufzubeschwören? Auch wenn nicht alle so eloquent und telegen wie Antonio Damasio, Steven Pinker oder Josef LeDoux sind, deren Publikationen in fast jeder Flughafenbuchhandlung der Welt zu haben sind, läuft nach einer Veröffentlichung die Marketing-Maschine mit Clips auf YouTube, Talkshows, ein Auftritt im Morgenfernsehen als Experte für Spiegelneurone und Empathie im Zusammenhang mit einer Hungersnot in Afrika und im Abendfernsehen als Experte für Spiegelneurone und Gewalt nach einem Amoklauf in einer Schule, was sich in vielen Ländern wiederholt, in die die Lizenz verkauft wurde.