Julia Walendzik

Psychotherapie in Deutschland - zwischen Verteilungskampf und Reformbestrebungen
Welchen Beitrag kann der Deutsche Dachverband für Psychotherapie (DVP) leisten?

Betrachtet man die Situation der Psychotherapie im deutschen Gesundheitssystem, so gewinnt man zunächst den Eindruck, dass die Psychotherapeut/-innen seit dem Inkrafttreten des Psychotherapeutengesetzes im Jahre 1999 ihre Stellung als Heilberuf gesichert haben:

Der Beruf des/ der Psychologische/-n bzw. Ärztliche/-n Psychotherapeut/-in ist mit einer Approbation analog der anderen akademischen Heilberufe (Ärzte, Apotheker) verbunden. Momentan gibt es rund 22’000 approbierte Psychotherapeut/-innen in Deutschland. Der Berufsstand wird viel selbstverständlicher als noch vor 10 Jahren in die politische Diskussion um psychische Gesundheit einbezogen.

Die Krankenkassen übernehmen die Kosten für ambulante Psychotherapie, die sich auf rund 80€ pro Therapiestunde belaufen, und gewähren ein Stundenkontingent, welches sich je nach Verfahren zwischen 25 (Kurzzeittherapie) und 180 (Psychoanalyse) bewegt. Auch in der Vergütung für psychiatrische bzw. psychosomatische Behandlung in den Kliniken ist ein Anteil für die Durchführung von Psychotherapie vorgesehen.

Auf den zweiten Blick ergibt sich jedoch ein sehr viel komplexeres Bild: Eben diese erfolgreiche Etablierung der Psychotherapie war mit einer Reihe von Verteilungskämpfen um die Ressourcen der öffentlichen Gesundheitsversorgung verbunden, welche einen Prozess der Ausgrenzung zur Folge hatte, der eher politisch als inhaltlich begründet ist.

Zugangsvoraussetzung zur Ausbildung als Psychotherapeut/-in für Erwachsene wurde ausschließlich das Studium der Psychologie, während Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut/-innen neben diesem ebenfalls einen pädagogischen Studiengang aufweisen durften. Zusätzlich wurde auch ein Zugang für Ärzt/-innen geschaffen (Ärztliche Psychotherapeut/-innen). Darüber hinaus rangen nun verschiedene psychotherapeutische Verfahren um Zugang zur gesetzlichen Krankenversicherung. Kostenübernahme durch diese erfolgt lediglich bei Therapieverfahren, die vom Gemeinsamen Bundesausschuss (GBA) anerkannt sind. Dieser legt den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung fest, in welchem sämtliche medizinische Leistungen auf wissenschaftliche Belegbarkeit und Effizienz überprüft werden. Der GBA hat bisher lediglich drei Verfahren anerkannt, während es bei der Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK) immerhin fünf Verfahren sind. Beide Gremien erheben für sich den Anspruch, ihre Bewertungen auf Grundlage von wissenschaftlichen Studien über Wirksamkeit zu treffen. Aus fachlicher Sicht ist nicht erklärbar, warum beide Gremien mit öffentlich-rechtlichem Auftrag zu so unterschiedlichen Bewertungen kommen. Ein Grund besteht darin, dass der GBA eben darüber entscheidet, welche Leistungen von den Krankenkassen getragen werden, so ein Interesse vermutet werden kann, den Zugang möglichst zu erschweren.

Jedoch ist erscheint auch die Anerkennung von fünf Therapieverfahren durch die BPtK als seltsam restriktiv im Vergleich zu Österreich, wo 22 psychotherapeutische Methoden aus vier Orientierungen (tiefenpsychologisch-psychodynamisch, humanistisch, systemisch und verhaltenstherapeutisch) als wirksam anerkannt sind.

Diese eklatanten Wertungsunterschiede sind nur durch institutionelle Besonderheiten der bewertenden Institutionen erklärbar.

Besonderheit der Situation in Deutschland ist, dass es neben dem sehr eng gestalteten Zugang zum Beruf des Psychologischen Psychotherapeut/-in eine nach Schätzungen ebenso große Anzahl von psychotherapeutisch tätigen Personen gibt, die im Rahmen des Heilpraktikergesetzes praktizieren. Heilpraktiker dürfen Gesundheitsleistungen für Privatzahlende anbieten. Hier existiert eine Erlaubnis zur Ausübung der Heilkunde beschränkt auf das Gebiet der Psychotherapie, welche nach einer Prüfung durch das Gesundheitsamt erfolgt. Hier sind die Kriterien eher niedrig, da es lediglich um eine rechtliche Absicherung geht, dass von der betreffenden Person keine Gefahr für die Gesundheit anderer ausgeht. Dies sind unter anderem Personen, die einen anderen Grundberuf als Psycholog/-in haben oder ein anderes psychotherapeutisches Verfahren als die von den politischen Entscheidungsträgern anerkannten erlernt haben.

Einfach zu erwerben ist die Zulassung beispielsweise für Absolvent/-innen eines Psychologiestudiums, welches das Fach klinische Psychologie enthält. In diesem Bereich gibt es jedoch auch eine große Anzahl von Personen, die eine qualitativ hochwertige Aus-/Weiterbildung in einem psychotherapeutischen Verfahren absolviert haben.

In Deutschland besteht somit eine Kluft zwischen psychologischen Psychotherapeut/-innen einerseits, die hohe Qualifikationsanforderung zu erfüllen haben, jedoch auf ein enges Spektrum von Therapieverfahren eingeschränkt sind und dem Sektor der Heilpraktiker für Psychotherapie andererseits, die geringere Anforderungen erfüllen müssen und eine große Variabilität von Qualifikationen ohne formelle Einschränkung auf wirksame Therapieverfahren aufweisen.

Diese Zweiteilung der Psychotherapie mag der Rationalität der Krankenkassen und der in Deutschland etablierten Therapieverfahren entsprechen. Sie schadet aber den Hilfesuchenden. Diese müssen sich entscheiden zwischen einer Psychotherapie als Krankenkassenleistung mit einer restriktiven Einschränkung der auf bestimmte Therapieverfahren, mit Kapazitätsengpässen und unter Umständen langen Wartezeiten auf eine Therapie. Dem steht eine Versorgung durch Heilpraktiker für Psychotherapie gegenüber, für die der/die Klient/-in allein die Kosten trägt und nicht sicher sein kann, dass er/sie ein anerkanntes Therapieverfahren erhält.

Dies ist nicht im Grunde vertretbar. Hier sind für alle Hilfesuchenden einheitliche Mindeststandards zum Patientenschutz und zur Qualität der Versorgung zu schaffen. Dies erfordert eine klare Linie zwischen der anerkannten Psychotherapie und sonstigen Interventionen, die keine Psychotherapie sind und für die Betroffenen klar unterscheidbar sein müssen.

Die Neugründung des Deutschen Dachverbandes für Psychotherapie (DVP) kommt deshalb zum richtigen Zeitpunkt. Sie erfolgte nach einem Aufruf auf der Tagung der European Association for Psychotherapy (EAP) in Berlin in einer Gründungsversammlung am 01.06.2013. Die erste Mitgliederversammlung vom 3.-4. 11. 2013 hat den Vorstand gewählt, die Satzung verabschiedet und Visionen für die zukünftige Arbeit des Verbands entwickelt. Der DVP hat den Prozess der Ausstellung vom Europäischen Zertifikat für Psychotherapie (ECP) nun wieder aufgenommen. Aktuell gibt es in Deutschland 1.209 auf der Webseite des EAP kostenpflichtig eingetragene ECP-Zertifizierte.

Zentrales Anliegen des DVP ist, in der zerklüfteten deutschen Psychotherapielandschaft eine Brücke zu schlagen, so dass es wieder zu einer gegenseitig inspirierenden Zusammenarbeit aller, die mit Psychotherapie zu tun haben, kommen kann. Im Fokus stehen müssen dabei die Hilfesuchenden selbst, deren vielfältigen Bedürfnisse sich in der Vielfalt unterschiedlichster psychotherapeutischer Verfahren widerspiegeln sollten. Hier möchte der Verband stärker als bisher die Betroffenen- und Angehörigenperspektive einbeziehen, indem Verbände dieser Gruppen ebenfalls Mitglieder werden können.

Vision ist eine Konvergenz der Rahmenbedingungen für Sicherung der Qualität der anerkannten Therapieverfahren. Darüber hinaus strebt der DVP eine Qualitätssicherung der Psychotherapie durch Heilpraktiker an, in dem Qualitätskriterien auf dem Niveau des ECP eingeführt werden und eine Differenzierung nach qualifiziert psychotherapeutisch Tätigen erfolgen kann. Denn dies ist auch notwendig zur Verbesserung der psychotherapeutischen Versorgung der Bevölkerung, indem Aufklärungsarbeit über verschiedene Qualifikationen geleistet werden kann.

Es ist von zentraler Bedeutung für die Zukunft der Psychotherapie in Deutschland, dass der Gesetzgeber sich dieser Herausforderung auch bei der anstehenden Reform des Psychotherapeutengesetzes, die von der Regierungskoalition angekündigt wurde, stellt und die überfällige Reform der Ausbildung angeht, indem das Spektrum der anerkannten Therapieverfahren geöffnet wird.

Autorin

Julia Walendzik ist Vorstandsmitglied des DVP