Swiss Public Health Conference 2016
Marianne Roth
Unter dem Motto «Menschen auf der Flucht – eine Herausforderung für das Schweizer Gesundheitssystem» fand am 15. November 2016 in Bern die Swiss Public Health Conference statt, zu der sich gut 200 Personen aus allen Bereichen des Gesundheitswesens, von Behörden, Universitäten und der Politik eingefunden hatten. Ein Ausschnitt.
Nach den Begrüssungsworten durch Bundesrat Alain Berset setzte Staatssekretär Mario Gattiker den Rahmen der Schweizer Flüchtlings- und Asylpolitik und ihre Einbettung in die europäischen Rahmenabkommen. Daniel Koch vom BAG schlug einen historischen Bogen vom früheren Umgang mit übertragbaren Krankheiten bis zu den heutigen Massnahmen medizinischer Versorgung beim Empfang von Asylsuchenden an den Grenzen und in Empfangszentren. Einen kritischen Blick auf die Gesundheitsversorgung von Geflüchteten in Deutschland warf Oliver Razum, Dekan der Universität Bielefeld, die sich von der Praxis in der Schweiz nicht wesentlich unterscheiden dürfte. Insbesondere kritisierte er den mangelhaften Zugang zu gesundheitlicher Versorgung der Geflüchteten. Er zeigte die entsprechenden sprachlichen, kulturellen, aber auch gesetzlichen Barrieren auf und erinnerte an den «Morbus Bosporus», nach dem die früheren «Gastarbeiter» angeblich nicht in das deutsche Gesundheitssystem passten.
Die Schulpsychologin Catherine Paterson präsentierte «Impressionen aus 21 Jahren Gruppentherapie für kriegstraumatisierte Kinder der Stadt Zürich». Die Gruppentherapien wurden nach den Balkankriegen als notwendige Reaktion, wie sie sagte, eingeführt. Die Herkunft der Kinder hat sich stark verändert und ist deckungsgleich mit den Krisenherden der Welt: Afghanistan, Syrien, Kurdistan usw. Traumatische Erfahrungen würden sich stark auf die Entwicklung von Kindern auswirken. Eine prägende Rolle können die Schulen einnehmen, was sie als Chance sieht. Laut Catherine Paterson besteht nicht nur eine hohe Nachfrage an Therapien, sondern auch ein steigender Bedarf an Supervision für Lehrpersonen von minderjährigen Flüchtlingskindern.
Die Oberärztin des Zentrums für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie, Clienia, Fana Asefaw, zeichnete auf eindrückliche Weise den Weg nach, den ein eritreischer unbegleiteter Jugendlicher zurücklegt, bis er in der Schweiz ankommt. Erstmals wurde übrigens eine Studie präsentiert, die zeigt, dass 50 Prozent der eritreischen Flüchtlinge, die den Weg in die Schweiz gefunden haben, traumatisiert sind. Fana Asefaw, selbst Eritreerin, stellte klar, dass die meisten Traumata nicht in der Heimat entstanden sind, sondern auf dem Fluchtweg: Hunger, Aufenthalt in libyschen Gefängnissen, in denen viele Flüchtlinge unterwegs landen, wo sie geschlagen und misshandelt werden, durchlebte sexuelle Gewalt bei der Durchquerung der Wüste, ausgeraubt werden, eine lebensgefährliche Überquerung des Mittelmeers usw. Bei der Ankunft in der Schweiz sind die Jugendlichen völlig erschöpft. Zunächst euphorisch, das Traumziel erreicht zu haben, gelangen sie hier in die Mühlen des Asylverfahrens, das von Ungewissheit und Unverständnis geprägt ist. Fana Asefaw bezeichnet diese Flüchtlinge als Überlebenskünstler/innen, die hohe Anpassungsleistungen, Flexibilität und Widerstandskraft aufweisen. Oft trete deshalb ein Trauma nicht sofort in Erscheinung, sondern äussere sich erst nach einer gewissen Zeit, wenn der Patient auffällig werde und spezifische Krankheitsbilder aufweise.
In der Parallelsession «Unterversorgung von traumatisierten Flüchtlingen» schilderten Christine Kopp und Carola Smolenski vom Schweizerischen Roten Kreuz SRK die praktischen Herausforderungen bei der Behandlung von traumatisierten Flüchtlingen. Diese müssen ja nicht nur lernen, das Trauma in ihr Leben zu «integrieren», sondern sie müssen auch eine eigene Existenz aufbauen. Wichtig ist deshalb gemäss SRK, die Autonomie zu fördern, etwa durch den Zugang zu Sprachkursen oder einer Arbeit. Schwer wiegt zudem die Abwesenheit von Respekt und Anerkennung, sozialen Kontakten und Zukunftsperspektiven, die sie hier erfahren. Laut SRK muss der Staat aktiv werden und der Unterversorgung entgegenwirken, um Chronifizierungen und zusätzliche Krankheiten zu vermeiden. Zudem fehlen Dolmetscher, ohne die eine Behandlung nicht möglich ist.
Präsidiert und geschlossen wurde die Konferenz von Ursula Zybach, Präsidentin Public Health Schweiz und Grossrätin des Kantons Bern.
Bundesrat Alain Berset, eingerahmt von Regierungsrat Hans-Jürg Käser (BE) und Ursula Zybach, Grossrätin Kanton Bern, die die Konferenz eloquent präsidierte.
Dr. Fana Asefaw’s Schilderung des Fluchtwegs eines eritreischen unbegleiteten jugendlichen Flüchtlings ging unter die Haut.