Interview eines ASP-Mitglieds

Jasna Sevcikova

Sie sind Psychotherapeutin in Genf und haben in Psychologie promoviert. Sie arbeiten vorwiegend mit Kindern und nähern sich dem Unbewussten des Kindes mittels des Theaterspiels und der bildenden Kunst. Könnten Sie uns eingangs Ihre klinische Ausrichtung und die Mechanismen, die Sie im Rahmen Ihrer Therapien in Gang setzen, genauer erläutern?

Keine Kunst an sich ist rein therapeutisch. Dagegen besitzen alle Künste ein grosses Potenzial, das unter ganz bestimmten Umständen therapeutischen Zwecken dienen kann. Diese Überzeugung bildet, denke ich, die Grundlage meiner Praxis als Psychotherapeutin, die sich kunsttherapeutischer Methoden bedient. Die in den psychotherapeutischen Raum integrierte Kunst schafft einen Hintergrund, vor dem die unbewussten Formen, die Gedankenskizzen, das Vorgedankliche und das archaische Denken sich entfalten und dergestalt eine Öffnung für Veränderung schaffen können. Wahrscheinlich arbeite ich aus diesem Grund hauptsächlich mit Kindern. Ihre von Ungeheuern und Fantasien bewohnte Vorstellungswelt ist der Kreativität förderlich, die auf aussergewöhnliche und oft unerwartete Weise ein unbewusstes Erleben vermittelt. Das Zeichnen und Bildhauern, die Marionetten, Masken, Rollenspiele usw. haben eine höchst symbolische Funktion. Ich suche nach dieser Symbolik, um in den Therapien einen Raum zu entwickeln, der die Vorstellung oder Nichtvorstellung jeder Person aufnehmen kann. In diesem Raum ist das Konzept des «Spielens» und vor allem das des «Miteinander-Spielens» von herausragender Bedeutung und bietet die Möglichkeit für eine Begegnung, die zu Veränderung führen kann.

Wie sind Sie zur Psychologie und insbesondere zur Psychotherapie gekommen?

Ich bin unter dem kommunistischen Regime in Prag geboren und in dieser magischen Stadt der vielen Geschichten aufgewachsen. Die Vorstellungskraft und die Kreativität, das zarte Bündnis zwischen Kunst und Widerstand, wirkte als Barriere gegen die Beklemmung dieser Situation des Eingesperrt seins. Diese Kraft, die ich seit frühesten Jahren miterlebt habe, nährte damals die tiefe Hoffnung, dass eine Veränderung möglich sei, solange es die Solidarität, die menschliche Beziehung und das Teilen gab. In meiner Jugend habe ich angefangen, Theater zu spielen, habe philosophische und psychologische Werke gelesen und dann nach Verbindungen dieser Erfahrungen zu meinem grossen Traum, die Welt zu verändern, gesucht.

Dann kam der Sturz des kommunistischen Regimes. Die Öffnung des Landes und die Hoffnung auf eine bessere Zukunft brachten eine Ausweitung meiner Perspektiven auf einen zuvor unbekannten Raum. Mit der Kühnheit meiner achtzehn Jahre und mit klopfendem Herzen habe ich die Gelegenheit beim Schopf gepackt. Mit weit aufgerissenen Augen angesichts der Welt, die sich hinter der Mauer befand, bin ich in der Schweiz angekommen: ich als Ausländerin, die eine fremde Welt betrachtet. Ich entdeckte dann, dass die Schweiz mir ein aussergewöhnliches «Spiel»-Feld bot und habe mich neben meinem Studium dem Theater gewidmet. In meiner Erfahrung hatten die beiden Bereiche einen tiefen Sinn und beiden kam eine sehr grosse Bedeutung zu.

Dann hat ein befreundeter Kinderpsychiater mir vorgeschlagen, in der gerade von ihm eröffneten Praxis zu arbeiten. Obwohl ich keinerlei psychotherapeutische Erfahrung hatte, habe ich akzeptiert und auf das mir entgegengebrachte Vertrauen gesetzt. Ich habe im Atelier, einem Genfer Bildungsinstitut für Kunsttherapie und Psychotherapie, eine Ausbildung in Poietischer Psychotherapie gemacht. Dank dieser Ausbildung sind tatsächliche Verbindungen zutage getreten und mein Wunsch, gleichzeitig künstlerisch und psychotherapeutisch tätig zu werden, ist Wirklichkeit geworden.

Ich bin der Meinung, dass wir in dieser Tätigkeit auf den Trümmern des Unerträglichen eine erträgliche Welt erfinden und konstruieren. Die Universalität der Kunstwelt sowie der Begriff der Wertfreiheit ermöglichen es, zugleich Abstand vom persönlichen Leiden zu gewinnen und auf neue Weise an das eigene Dasein und die eigene und einzigartige Lebensgeschichte anzuknüpfen.

Die Begegnung zwischen Theater und Psychotherapie hat dann in Ihnen den Wunsch geweckt, eine Doktorarbeit über die Beziehungen zwischen beiden zu schreiben. Was haben Sie im Rahmen dieser Arbeit erforscht und zu welchen (vorläufigen) Schlüssen sind Sie gelangt?

Es hat lange gedauert, ehe meine Doktorarbeit sich in ihrer endgültigen Form herauskristallisiert hat. Ich bin von der Idee ausgegangen, mich auf einer rein theoretischen Ebene mit den Beziehungen zwischen den beiden Bereichen auseinanderzusetzen. Ich habe mich für den Schamanismus interessiert, der meines Erachtens eine Form von «Prä-Theater» darstellt, worin die Vorstellungen der Betreuung, des Spiels und des Rituals sich miteinander verbinden, um eine sehr körperbetonte, symbolische Darstellung hervorzubringen, die eine Veränderung herbeiführt. Ich habe mich daher gefragt, warum das Theater, genau wie andere Künste, in den gegenwärtigen Psychotherapien noch relativ wenig eingesetzt wurde. Die Veränderungskraft des Theaters, die ich als Schauspielerin erleben konnte, faszinierte mich sehr, so dass die Verbindung mir offensichtlich und durchaus auf den psychotherapeutischen Rahmen übertragbar zu sein schien.

Doch als ich als Klinikerin mit Kindern zu arbeiten begann, gerieten meine Gewissheiten bald ins Wanken. Mir wurde klar, dass es sich hier um ein ganz anderes Theater handelte und die therapeutische Bühne derjenigen, an die ich gewöhnt war, überhaupt nicht glich. Die Logen waren von Geistern aus mehreren Generationen besetzt, im Bühnenhintergrund spielten sich nicht aufführbare Familiendramen ab, die Figuren starben oft, bevor sie eine reale Gestalt annehmen konnten, und all dies ohne ein begeistert applaudierendes Publikum. So habe ich den Gesamtaufbau meiner Doktorarbeit neu durchdacht und beschlossen, die klinische Wirklichkeit hineinzubringen, indem ich das «therapeutische Theater» anhand von sechs mit Kindern durchgeführten Therapien erzähle. Hervorgegangen ist daraus eine klinisch-theoretische Arbeit über den Übergang von einer archaischen, chaotischen und formlosen Welt zu einer symbolischen Welt, die das Spiel und die Darstellung fördert.

Ohne voreilige Schlüsse ziehen zu wollen, scheint mir, dass das Theater – und seine Illusion «ebenso wirklich wie die Wirklichkeit und doch fiktiv» – ein Mittel ist, um die Formen der nicht verarbeiteten Instanzen und Bewegungen der Psyche, die vorher formlos und ohne Verbalisierung sind, zu «fixieren». Dank der gelebten Rolle und der wahren Verkörperung der «Dämonen», die ebenfalls in Rollen auftauchen, zeichnet sich ein neues Erleben in der Körperlichkeit ab. Die Rolle garantiert die Sicherheit für die Auseinandersetzung, da sie ein Nicht-Ich repräsentiert, das den Abstieg ins Archaische ohne eine echte Regression ermöglicht. Durch diese Verlagerung entfaltet sich das Spiel auf einem «Nebenschauplatz», der es erlaubt, die schmerzlichen Erlebnisse durch eine reale Dramatisierung zu entdramatisieren.

In dieser parallelen Welt des Theaters ist die Gefahr nicht mehr lebensbedrohend und die Wiederholung fungiert als Zähmung. Die Gefahr eines psychischen Zusammenbruchs macht so der Öffnung für ein denkbares Anderswo Platz. Die im Spiel der Figuren verkörperte Fantasie schafft eine neue Beziehung zu den hier und jetzt entstehenden Gefühlen. Ein anderer Schauplatz gegenüber der dumpfen Dialektik der pathogenen Wiederholungen bietet nunmehr einen zu konstruierenden bzw. neu zu konstruierenden Raum, indem er neue lebbare und Kraft spendende Formen schafft. Durch die stark verkörperte Vorstellung und die Macht der symbolischen Konstruktion beginnt das Wirkliche einen Weg zu nie zuvor erprobten Lösungen und weckt die Hoffnung auf eine weitere Veränderung.

Das Paradox und die Illusion des Theaters verleihen der Hilflosigkeit, dem Wahnsinn oder der Schande ein anderes Bild und verwandeln sich in Träger von Poesie und Träumerei, selbst wenn sie bisweilen grausam sind. Auf die Psychotherapie übertragen, machen dieses Paradox und die Theaterillusion die von ihrem pathologischen Sinn entkoppelte Symptomatik erträglich bzw. tragbar und bringen einen poetischen, schöpferischen Schwung der Veränderung mit. In die Haut und in den Charakter einer fiktiven Gestalt zu schlüpfen, um sie zu verkörpern und zu bewohnen, verweist überraschend auf eine Möglichkeit, man selbst zu sein und sich als solches Selbst zu erkennen.

Welche Unterschiede und Gemeinsamkeiten bestehen zwischen Ihrer Technik und der des Psychodramas? Als Anhaltspunkt erinnere ich hier an die Definition des Psychodramas in seinem allgemeinsten Sinn als einer theatralischen Inszenierung innerer Konflikte, die das Subjekt in seiner Beziehung zu den anderen Schauspielern auf der Bühne in einem therapeutischen Rahmen externalisiert.

Der erste Unterschied scheint mir im Körpererleben zu bestehen, das bei der Sitzung angeregt wird. Ich halte die körperliche Dimension für grundlegend, damit eine vollständige Figur entstehen kann. Wir sind aus Fleisch und Blut, wir sind Materie und zwar sich verändernde Materie. Der Körper steht im Mittelpunkt des Lebensschauspiels, er ist sein Herz, sein Muskel und Atem, sein Rhythmus, sein Objekt und Subjekt zugleich. Der Körper existiert, um dem Unbewussten, das heisst dem Unsichtbaren und Unsagbaren, Gelegenheit zu geben, sich zu verkörpern. Doch damit dies geschehen kann, scheint mir eine Vorbereitung notwendig zu sein. Ich habe mich daher auf gewisse Techniken gestützt, die ich aus der Schauspielerei kannte und die beim Schauspielunterricht oft verwendet werden. In meinen Sitzungen schlage ich eine Art Verkörperung vor, bevor ich zum eigentlichen Spiel übergehe. Diese besteht aus verschiedenen spielerischen Übungen, die eine Arbeit an der Stimme, den Bewegungen und Körperhaltungen, dem Atmen und dem Körperbewusstsein insgesamt einschliessen. Meiner Ansicht nach funktioniert diese Verkörperung auch als ritualisierter Übergang, der es dem «Körper des Alltags» ermöglicht, ein «modellierfähiger Körper» zu werden, der bereit ist, eine zu spielende Rolle aufzunehmen. Ich wage sogar, mir vorzustellen, dass es sich hier um eine gewollte Dekonstruktion von Körpermustern bzw. um eine Rückkehr zur archaischen Welt handelt, wobei dem Körper seine primäre Funktion zurückgewonnen wird, welche die sensomotorischen Empfindungen ohne Eingreifen der Sprache oder des Verstandes betrifft. Dieses verstärkte Körpererleben in einem Teil der Sitzung wirkt in meinen Augen dem Denksystem entgegen und verwandelt den Körper in ein Gefäss für die Aufnahme anderer unbewusster Formen, ohne die «Konflikte» unbedingt direkt anzugehen. Dies ist ein erster wichtiger Unterschied.

Der zweite Aspekt, den ich erwähnen möchte, betrifft den Ort, der in der Therapie der Vorstellungskraft zukommt. In meinem Ansatz steht die Vorstellungskraft, welche die Kreativität unmittelbar anregt, im Mittelpunkt. Sie bringt eine nicht reale, exzentrische und dennoch für die inneren Bewegungen bedeutsame Seite ein. Die zu spielenden Geschichten sind also rein fiktiv, sie werden von den Teilnehmern an der Gruppentherapie gemeinsam geschaffen bzw. gehen sie im Fall von Einzelsitzungen direkt aus der persönlichen Vorstellungskraft des Patienten hervor. Zunächst nehmen diese Geschichten die Form einer Erzählung an, die oft einem Märchen oder einer erfundenen Legende gleicht. Nichts ist darin wirklich und dennoch dreht sich alles um sehr reale Wesen. Ich stelle mir diese Phase gern als Imaginieren eines zu spielenden Drehbuchs vor. Mittels der Erzählung können die Personen in ihren Charakterzügen und ihrer Persönlichkeit, ihren Fehlern, Eigenschaften und Vermögen und auch in ihren körperlichen Merkmalen fantasiert oder erdacht werden. Anhand dieser Vorstellungen lässt sich eine Inszenierung mit szenischen Ereignissen entwerfen, die den Ablauf einer aufzuführenden Geschichte und die reale Schaffung der Personen sicherstellt, die sich in den zu spielenden Rollen zwischen «hier» und «anderswo» bewegen. Erwähnenswert ist, dass wir bei unseren Sitzungen auch Kostüme und anderes Zubehör benutzen. Ich stelle mir das therapeutische Theaterstück immer wie eines vor, das tatsächlich aufgeführt werden könnte.

An dritter Stelle unterscheidet sich meines Erachtens das szenische Spiel selbst vom Psychodrama. Ich versuche dieses Spiel – gewiss aus meiner «wirklichen Theatererfahrung» – in die Therapien einzubringen. und diejenigen Aspekte, die Therapie und wahrem Theater gemeinsam sind, zu vermitteln. Die Vorstellung von der Straflosigkeit des Schauspielers bei dem, was er spielt, hat dieselbe Bedeutung wie die Wertfreiheit in der Therapie. Genau wie der Schauspieler stützt sich der Patient bei seinem Spiel auf die Bedeutung des Scheins, so dass das Spiel in einem privilegierten, von der Wirklichkeit unterschiedenen Raum stattfinden kann. Ich erinnere mich an Aufführungen, bei denen ich als Zuschauerin schrecklichen Szenen beigewohnt habe, ohne mir indes das Geringste entgehen zu lassen. Ich empfand sogar Freude daran. Was im Leben unerträglich ist, wurde auf der Bühne erträglich, vorausgesetzt, alle spielen das Spiel mit.

Eine der besten Theaterstunden, die ich jemals erhalten habe, fand in einem sehr besonderen Umfeld statt: einem Park mit Kindern, die Piraten spielten. Aufgefordert mitzuspielen, wurde ich ein feindlicher Pirat. Sehr bald wurde ich von einem Säbel mitten in den Bauch getroffen und stürzte zu Tode verletzt zu Boden, kleine Schreie ausstossend – nicht zu furchterregend, um meinem jungen Publikum nicht wirklich Angst einzujagen – und mit grossen Gesten mein Leiden mimend. Ich wand mich komisch, verzog das Gesicht und zögerte so den Moment meines Todes hinaus. Schliesslich täuschte ich mit einer überzogenen und wenig realistischen Theatralität meinen Tod vor, mit einem kleinen inneren Lächeln der Zufriedenheit, das besagte: Ja, es war alles dabei, um mein junges Publikum zu befriedigen. Da schreit ein kleiner Junge wütend: «Halt! Du sollst nicht so tun, als würdest du sterben, mach so, als wärst du wirklich tot». Verblüfft über seine Bemerkung, halte ich abrupt inne. Wir fangen wieder von vorne an und ich spiele meinen Tod nochmals, wirklich als ob, ohne grossen Lärm und grosses Aufheben, mit dem kleinen Satz dieses Kindes im Sinn, das von mir verlangte, ein Stück von meinem wahren Selbst in mein Spiel einzubringen.

Wir sind alle gleich, wenn wir spielen. Die einzige Regel ist in diesem Moment, «so zu tun als ob», sich von der Theaterillusion tragen zu lassen und den Personen sowie der Geschichte zu erlauben, sich im «Hier und Jetzt» wirklich zu verkörpern. Die Rolle des Therapeuten und die des Patienten werden durch ein «anderes Theater» abgelöst, in das wir alle verwickelt sind. Aus dieser Einverleibung des Imaginären in der das wahre Theater seinen Sinn gewinnt, kann keiner sich heraushalten. Wir stellen uns derselben Welt, der des Fiktiven und dennoch Wirklichen, die wir durch unser Wesen verkörpern. Wir spielen zusammen, begegnen einander und konfrontieren uns in der Freude unseres Wesens wie in unseren tiefsten Ängsten miteinander. Es ist ein ausserhalb der Zeit zwischen uns erstarrter Moment, in dem die Raumzeit sich verdichtet und das Unaussprechliche einen Weg zur Ausdrückbarkeit findet. Die Frage der Interpretation im psychotherapeutischen Sinn des Wortes wird mithin überflüssig, denn die Personen haben sich bereits interpretiert, gespielt und ihre Geschichten unter Befragung von Leben und Tod aufgerollt. Wie im Theater gehen die Patienten von der Bühne ab. Der Vorhang fällt, es bleibt nur diese unfassbare Spur unserer Patienten wie unserer selbst, die sich in unser Inneres einprägt.

Warum haben Sie sich entschieden, Mitglied der ASP statt der FSP zu werden? Wissen Sie, dass die Psychiater in Genf es ablehnen, mit Psychologen zusammenzuarbeiten, die keine FSP-Mitglieder sind?

In erster Linie habe ich mich für die Mitgliedschaft in der ASP entschieden, weil ich dem Beruf der Psychotherapeutin näherstehe als dem der Psychologin. Ausserdem finde ich, dass die ASP sehr aktiv für die Rechte der Psychotherapeuten eintritt und regelmässig mit internationalen Stellen zusammenarbeitet, so dass vielfältige Öffnungen ins Ausland entstehen. Doch möchte ich nicht verbergen, dass meine Entscheidung nach der Konfrontation mit dem sehr starren System der FSP radikal zugunsten der ASP ausgeschlagen ist. Konkret gesprochen, könnte ich der FSP zufolge meine Ausbildung in expressiver Psychotherapie nicht als Hauptrichtung anerkennen lassen. Sicher könnte ich meine parallel durchlaufene psychoanalytische Ausbildung geltend machen, aber ich verstand nicht, warum meine Spezialisierung in expressiver Psychotherapie auf diese Weise ignoriert oder sogar verachtet wurde. Die Ausbildung von l’Atelier basiert auf post-Bion’schen Modellen und ist von der Schweizer Charta für Psychotherapie anerkannt. Trotz meiner Argumentationen und meiner Bitte um eine vertiefende Diskussion über das Thema bin ich bei der Verwaltung gegen eine Wand des Dogmatismus gestossen. Ich finde es auch bedauerlich, dass manche Psychiater in Genf den Mitgliedern der FSP den Vorzug geben, obwohl auf Bundesebene beide Verbände in Bezug auf Kriterien und Anerkennungen gleichgestellt sind.

In unserem Fach ist es offiziell notwendig, den Status eines freiberuflichen Psychotherapeuten zu haben und über eine Berechtigung zur freiberuflichen Ausübung zu verfügen. In Wirklichkeit wird die freiberufliche Ausübung der Psychotherapie erschwert und wir hängen von der Zusammenarbeit mit einem Psychiater und den daraus erwachsenden Zwängen ab. Was halten Sie von dieser Pseudo-Freiberuflichkeit und ihren Folgen für die Betreuungsbeziehung und den Zugang zur Psychotherapie?

Das ist wirklich eine schwierige Frage. Man empfindet es tatsächlich als Ungerechtigkeit und verspürt auch Verärgerung darüber, dass man nach jahrelangem Studium, Ausbildungen, Supervisionen und klinischer Arbeit, die verlangt werden, um unseren unabhängigen Fachtitel in Psychotherapie zu erhalten, von der Grundversicherung kein Geld bekommt ohne Überweisung eines Psychiaters und mit der Pflicht, mit ihm unter einem Dach zu arbeiten. Und mehr noch als Verärgerung möchte ich sagen: Man verspürt Ohnmacht. Wer von uns kann es sich leisten, eine unabhängige Praxis zu eröffnen, ohne darauf zu zählen, direkt mit den Grundversicherungen zusammenzuarbeiten? Soll das heissen, dass wir als freiberufliche Psychotherapeut/innen nur mit Personen arbeiten können, die reich genug sind, um die Beratung allein aus eigenen Mitteln bestreiten zu können? Oder dass wir die ganze Nachfrage befriedigen, aber wenn die Mittel der Zusatzversicherungen erschöpft sind, den Patient/innen verkünden sollen, dass sie aus eigener Tasche bezahlen müssen oder «vielen Dank und auf Wiedersehen, die Psychotherapie ist zu Ende, weil wir keine Anerkennung haben, um Ihnen bis zu Ende zu helfen»? In welchem Zusammenhang steht unsere Ethik als Therapiefachkräfte zu dieser Finanzfalle?

Ich persönlich begleite in meiner Tätigkeit häufig Patient/innen mit schweren Erkrankungen. Auf dieser Ebene ist die Zusammenarbeit mit einem Psychiater oft notwendig und je nach Fall finde ich sie sehr wertvoll und nützlich, um den Patient/innen eine umfassende Hilfe zu bieten. Doch dies sollte eine freie Entscheidung und keine Verpflichtung sein. Vor allem bin ich fest davon überzeugt, dass ein echter Austausch über eine/n Patienten/in zwischen den verschiedenen Therapieberufen ein noch umfassenderes, unvergleichlich reiches Bild ergibt. Damit dies jedoch tatsächlich funktionieren kann, müssen wir in unserer ärztlich-rechtlichen Anerkennung gleichgestellt sein. Es geht dabei nicht um Konkurrenz, sondern um eine korrekte Aufteilung zum Wohl der Patient/innen, die im Mittelpunkt unseres Interesses stehen und stehen müssen.

Glauben Sie nicht, dass es weniger um eine Wahl als um eine Verpflichtung zu Folgemassnahmen gehen sollte, insbesondere für Erkrankungen, die eine psychiatrische Behandlung erfordern? Ich meine Verpflichtung auch im Sinn einer Pflicht zur Annäherung an die Krankheit aus zweierlei Blickwinkeln, solange wir unterschiedliche Ausbildungen und Kompetenzen haben (obgleich die Verwirrung sich aus dem gleichen Präfix Psy- ergibt, das unglücklicherweise beide Berufe begleitet).

Ich denke tatsächlich, dass die beiden Bereiche, die Psychologie und die Psychiatrie, unterschiedliche Kompetenzen umfassen und ihre Verbindung in einer Behandlung mit zweifachem Fokus für bestimmte Patient/innen eine vollständige Begleitung darstellt. Allerdings möchte ich den Sinn des zweifachen Fokus unterstreichen, denn die Definition selbst besagt, dass der Fokus nicht gleich ist. Auf Seiten der Psychologie versuchen wir eine Psyche in Not zu betreuen und es ihr durch unsere Begleitung zu ermöglichen, sich auf verschiedene psychologische Schritte zu stützen, die ein menschliches Wesen in der Komplexität seiner inneren Bewegungen wie in seinen Aussenbeziehungen konstituieren. In unserem Studium lernen wir den Aufbau der psychischen Struktur kennen, wir studieren ihre festen Grundlagen, die das Identitätsgerüst bilden, die subtilen Bewegungen des Gefühlsflusses, die unterbewusste Triebentladung sowie die vielfältigen Verknüpfungen der Gedanken über uns selbst und die anderen. Damit eine psychologische Betreuung einen günstigen Verlauf nehmen kann, muss der/die Patient/in zu einer psychischen Arbeit an sich selbst imstande sein. Bei bestimmten schweren Erkrankungen wird diese innere Verbindung zu sich selbst aufgrund massiver Ängste vermieden, die das Denken verhindern. Genau in solchen Fällen bitten wir die Psychiater hinzu, damit der/die Patient/in mit Hilfe von Medikamenten die Denkfähigkeit bewahren und in der begonnenen Psychotherapie vorankommen kann. Es ist klar, dass dieser Weg im gegenwärtigen System völlig einfach und leicht realisierbar ist, da die Mehrzahl der freiberuflichen Psychologen/Psychotherapeuten in ein und derselben Praxis mit einem Psychiater zusammenarbeitet.

Ich erlaube mir, auch den Blickwinkel der Psychiater kurz aufzugreifen. Freilich ist es nicht derselbe Beruf und ich kann daher nur als Beobachterin bzw. in meinem eigenen Namen sprechen. Ich habe auf meinem Weg stets ein gutes Einvernehmen und eine gute Zusammenarbeit mit meinen Kolleg/innen aus der Psychiatrie gehabt. Doch ich muss sagen – und dies tatsächlich in Kenntnis der Sachlage – das nur wenige privat niedergelassene Psychiater uns um eine psychologische und psychotherapeutische Betreuung zusätzlich zur medikamentösen Behandlung bitten, die zu Recht aufgrund psychischer Störungen durchgeführt wird. Ich frage mich daher, warum diese in meinen Augen sehr wichtige Zusammenarbeit immer noch durch eine Art von Nicht-Anerkennung der verschiedenen Berufe und den Glauben, dass Medikamente wie mit dem Zauberstab psychische Leiden definitiv beheben können, beeinträchtigt ist.

Ich komme sofort zum gordischen Knoten. Wenn wir innerhalb unserer Betreuungsberufe unfähig sind, uns anzuerkennen, mit unseren unterschiedlichen Fähigkeiten miteinander zu kommunizieren und uns zu achten, gereicht das niemandem zum Vorteil. Die Ersten, die darunter leiden, werden unsere Patient/innen sein, weil es unsere Betreuung schwächt. Eine wirklich traurige Feststellung.

Dr. phil. Jasna Sevcikova ist Psychotherapeutin ASP und praktiziert in Genf.

Mitglied der ASP seit 2013

Das Gespräch führte Liviu Poenaru