Diskussionsbeiträge zu «Psychotherapie in der Grundversicherung»

Interview mit Sabine Schäppi, lic. phil. hist./ MPH,
Geschäftleiterin der Stiftung pro mente sana

Warum sind psychotherapeutische Leistungen von Psychiatern/-innen in der Grundversicherung enthalten und diejenigen von psychologischen Psychotherapeuten/-innen nicht?

Die Grundversicherung nach KVG ist im Bereich der Krankenversicherungen entstanden. Über die Aufnahme in die Versicherungsleistungen berät die Eidgenössische Kommission für allgemeine Leistungen und Grundsatzfragen (ELGK), welche fast ausschliesslich aus Medizinern zusammengesetzt ist und damit sehr nahe am Gesundheitssystem agiert. Psychologen sind auch Geisteswissenschaftler und/oder neu Humanwissenschaftler. Damit sind sie anders sozialisiert und ausgebildet als Mediziner. So sind sie auch am Funktionieren der Psyche interessiert, unabhängig von Erkrankung, etwa auch an philosophischen Fragen des Menschseins. Die therapeutisch tätigen Psychologen – mit entsprechender Weiterbildung – hingegen haben sich in einer langjährigen Ausbildung auch mit psychischen Erkrankungen und Wirksamkeit von Therapien auseinandergesetzt. Sie haben nun einen geschützten Titel, einen breiten Weiterbildungsnachweis zu erbringen und erfüllen somit die Anforderungen an die Qualität, welche vom Gesetzgeber gefordert wird. Die Nicht-Zulassung dürfte somit primär finanzielle und allenfalls standespolitische und historische Gründe haben.

Ist Psychotherapie von psychologischen Psychotherapeuten/-innen weniger Wert als von psychiatrischen Psychotherapeuten/-innen, obwohl die Ausbildungswege ähnlich lang und kostspielig sind?

Die Therapie ist so viel Wert, wie sie dem Klienten auf seinem Gesundungsweg hilft. Psychiater haben aufgrund ihrer medizinischen Ausbildung zusätzlich die Möglichkeit, Medikamente zu verordnen. Bei gewissen Krankheitsbildern kann eine Kombination der Methoden (Gespräch und Medikament) einen Zusatznutzen bringen. Allerdings sind Erkrankungen sehr verschiedenartig und der Verlauf ausgesprochen individuell. Gerade bei Depressionen, der häufigsten Erkrankung, dürften psychotherapeutische Methoden ebenso adäquat sein. Oder für die zunehmende Verbreitung von psychischen Erkrankungen im Alter dürften das Gespräch und die Orientierung am Sinn des Lebens ebenso gewinnbringend sein.

Was spricht für eine Aufnahme der psychologischen Psychotherapie in die Grundversicherung?
Was spricht dagegen?

Für die Aufnahme der psychologischen Psychotherapie in die Grundversicherung (OKP) spricht erstens das Erfüllen der Kriterien Wirksamkeit, Zweckmässigkeit und Wirtschaftlichkeit, welche als Grundvoraussetzungen für die Übernahme der Kosten durch die OKP gelten.

Dagegen sprechen einzig finanzielle Erwägungen. Die Zulassung birgt kurzfristig die Gefahr, dass die Kosten in der Grundversicherung weiter zunehmen. Wenn allerdings durch eine gute Therapie Behandlungen im übrigen System vermieden werden können, Erkrankungen besser und früher entdeckt werden, dient dies langfristig der Entlastung des Budgets und gibt insbesondere psychisch Erkrankten schneller die mögliche Lebensqualität wieder.

Macht das Anordnungsprinzip mehr Sinn als die Delegation? Was sind jeweils die Vor- und Nachteile?

Das Delegationsmodell kann mit dem Inkrafttreten des Psychologieberufegesetzes als überholt bezeichnet werden. Dieses liefert die Basis für die fachliche Verantwortung der psychologischen Psychotherapeuten. Die Anordnungsbefugnis soll auf alle Ärztinnen, nicht nur Fachärzte, ausgedeht werden. In diesem Sinne werden die Kompetenzen der psychologischen Psychotherapeuten optimal genutzt und die Versorgung damit verbessert. Das Delegationsmodell entspricht nicht den fachlichen Fähigkeiten der Psychologen.

Überwiegt die Kostenausweitung durch die Aufnahme in die Grundversicherung tatsächlich den präventiven Effekt einer flächendeckenden psychotherapeutischen Grundversorgung?

Nein. Auch wenn kurzfristig ein Kostenwachstum anzunehmen ist, kann von einer verbesserten Systemqualität ausgegangen werden. Siehe auch Frage 3.

Wie sollte man dem zunehmenden Psychiatermangel begegnen? Könnte hier nicht die Aufnahme der psychologischen Psychotherapie in die Grundversicherung ein wertvolles Gegenmittel sein?

Das ist richtig und geschieht in Spezialbereichen häufig schon. Etwa im Suchtbereich, in welchem Psychiater sehr fehlen, werden bereits heute Psychologen eingesetzt. Insbesondere könnten mit der Aufnahme von Psychologen auch vermehrt wieder Personen, die unsere Landessprache sprechen, tätig sein und möglicherweise gut ausgebildete Frauen in die Erwerbsarbeit (zurück-)gebracht werden.

Kommentar von Michaela Kozelka, Mediensprecherin, Bundesamt für Gesundheit

Aus grundsätzlichen Überlegung zur Nicht-Parteinahme während eines laufenden Prozesses wurden die Interviewfragen, so wie sie gestellt waren, nicht beantwortet. Immerhin sandte uns die Medienstelle des BAG den nachfolgenden Text, in welchem der Stand und Verlauf des Prozesses dargestellt wird.

Nichtärztliche Psychologen und Psychologinnen können heute ihre Leistung nur delegiert, im Rahmen eines Anstellungsverhältnisses bei einem Arzt bzw. einer Ärztin in den ärztlichen Praxisräumlichkeiten unter ärztlicher Aufsicht und Verantwortlichkeit erbringen. Die Abrechnung gegenüber den Versicherern zu Lasten der obligatorischen Krankenpflegeversicherung (OKP, Grundversicherung) erfolgt durch die Ärzteschaft.
Seit 2013 laufen Vorarbeiten zu einer möglichen Ablösung des Delegationsmodells für die nichtärztlich erbrachte Psychotherapie, nachdem diese nun mit einer schweizweit harmonisierten Weiterbildung (Inkrafttreten per 1. April 2013 des Bundesgesetzes über die Psychologieberufe [PsyG]) prinzipiell die Basis für eine Aufnahme als Leistungserbringer in die Gesetz- bzw. Verordnungsgebung des Bundesgesetzes über die Krankenversicherung (KVG) haben.
Bislang wurde die grundsätzliche Prüfung eines Modellwechsels bejaht und Vorgaben zu Rahmenbedingungen und Zielen den Berufsverbänden und Versicherern kommuniziert. Diese wurden im Anschluss an ein Treffen im Juli 2014 eingeladen, ergänzend zu den präsentierten Umsetzungsoptionen erfolgsversprechende und umsetzbare Vorschläge einzubringen.
Bezüglich der Details eines möglichen neuen Modells existieren seitens der verschiedenen Stakeholder zum Teil gegensätzliche Vorstellungen. Das BAG ist derzeit daran, einen differenzierten Lösungsvorschlag auszuarbeiten, um dem Eidg. Departement des Innern (EDI) in der Folge eine Entscheidungsgrundlage für das weitere Vorgehen zur Verfügung zu stellen.

Michaela Kozelka

Mediensprecherin

Eidgenössisches Departement des Innern EDI

Bundesamt für Gesundheit BAG