Buchbesprechung

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https://doi.org/10.30820/2504-5199-2019-1-34

Walter Aeschimann (2019):Psychotherapie in der Schweiz. Vom Ringen um die Anerkennung eines Berufsstandes. Jubiläumsschrift 40 Jahre ASP
Zürich: ASP, 119 Seiten, 35.00 CHF

Wer hat’s erfunden? Wir. Zum Teil. Doch nicht nur bei uns in der Schweiz hat sich in den letzten 40 Jahren ein reichhaltiges, oft turbulentes Verbandsleben entfaltet. Einige Pionier*innen, die den Psychotherapie-Beruf ausübten und den ersten, nach wie vor einzigen schweizerischen Berufsverband für Psychotherapeut*innen gegründet hatten, wollten die gesellschaftspolitische Anerkennung unseres Berufes erreichen. Ich finde es eine geniale Idee unseres Vorstandes, eine umfangreiche Jubiläumsschrift zu unserer 40-jährigen Verbandsgeschichte in Auftrag gegeben zu haben.

Walter Aeschimann, freier Historiker und Publizist in Zürich, schrieb diese ausgiebig und gute recherchierte Schrift. Im Sinne erzählender Geschichte und kritischer Würdigung des ihm vorliegenden Archivmaterials – Primär- und Sekundärquellen, Literatur – gestaltet er in seinem Buch eine würdevolle Übersicht zur Geschichte und Politik der Psychotherapie. Er spannt einen weiten Bogen bis zur heutigen Vorstellung der Zukunft unseres schönen, spannenden und intensiven Berufs der Seelenheilkunde.

Das Buch kommt in 34 meist kurz gefassten Kapiteln daher. Aeschimann schreibt, verglichen mit manchen psychotherapeutischen und psychologischen Texten, ausserordentlich leser*innenfreundlich. Ein Lob für das Konzept und für das Redaktionsteam, dem neben dem Autor, unsere Präsidentin Gabi Rüttimann, Peter Schulthess und Verbandsgeschäftsführerin Marianne Roth angehörten. Kontext und Inhalt sind so zusammengefügt, mit Fotos der interviewten Zeitzeugen, gegenwärtigen Vorstandsmitgliedern und Personen mit Aussensicht, dass ein eleganter Lesezug entsteht.

Die Psychotherapie-Geschichte in der Schweiz, ist seit 40 Jahren mit diversen Aktivitäten unseres Berufsverbandes verwoben. Aeschimann scheute sich als Aussenstehender nicht, unsere schmerzlichen, dennoch oft wichtigen inneren Auseinandersetzungen zur berufspolitischen Ausrichtung und über diverse, oft dogmatisch daherkommende Glaubensätze zu Sinn, Zweck und Wirksamkeit der verschiedenen Psychotherapie-Richtungen aufzuzeigen. In der veröffentlichten Anerkennung der persönlichen Verwundungen, entstanden in Richtungsdebatten, kann ein historischer Rückblick heilend wirken. Als ehemalige Akteur*innen gestehen wir ein, immer schon im eigenen Schatten des Psychopompos gewirkt zu haben. Manchmal wurde der Kontext der innenpolitischen Auseinandersetzungen um Macht und Inhalte à la 68’er ausgetragen. Das Politische ist persönlich und das Persönliche ist politisch. Alles Bewusstsein sowie die Macht als Gefahr bei den Helfenden entstehen im sozial-psychologischen Kontext. Ein Ziel einer Psychotherapie, kurativ und emanzipativ, in was auch immer für einer Modalität sie von Frauen und Männern ausgeübt wird, ist, sich nicht mehr für den oder die, die wir sind, zu schämen. So wagte unser aktueller Vorstand mit dieser Schrift, im Sinne der Bekanntmachung unserer unterhaltsam aufrichtigen Geschichte für die grössere Öffentlichkeit, ohne Wenn und Aber zu zeigen, woher wir kommen, was aus uns geworden ist und wohin wir zu gehen beabsichtigen.

Inhaltlich beginnt der Autor bei den Vorläufern des ASP und der nicht mehr allen vertrauten Vorgeschichte zur SPV-Gründung am 3. März 1979 in Basel. Das damals erklärte Ziel war, eine breite öffentliche und politische Anerkennung der Psychotherapie zu erreichen. Dann folgen drei Kapitel zur Geschichte der Psychotherapie, zur Politisierung derselben in der Nachkriegszeit und zum wirksamen Einfluss auf unseren Beruf durch gesellschaftliche, kulturelle Entwicklungen: Psychotherapie, einzeln und in Gruppen, als Weg, sich selbst und andere von den eigenen Restneurosen zu befreien.

Zu Beginn war der Schwung da, eine gemeinsame Kooperation aller sich für die Psychotherapie einsetzenden und schon existierenden Berufsverbände zu erreichen. Dieses Projekt ging leider nicht über eine gemeinsame Vereinbarung hinaus. Von so etwas wie einer alle vereinenden nationalen Psychotherapeut*innen-Kammer, wie in Deutschland üblich, sind wir hier zu Lande noch weit entfernt. Weiter lesen wir über die ersten gesetzlichen Regelungen unserer eigenständigen, human- und sozialwissenschaftlichen Berufsaktivität in den Kantonen Basel-Stadt und Basel-Landschaft. Wenn die Stimme des damaligen SPV nicht genug gehört wurde, mussten eigene Vorstösse vor das Bundesgericht gegen die Gesetze zur Psychotherapie in einzelnen Kantonen unternommen werden. Ein wichtiger erster Erfolg war, dass das Bundesgericht juristisch anerkannte, dass Psychotherapie auch in der Confoederation Helvetica ein eigenständiger, selbstständig ausübbarer Beruf ist.

Dieser Richterspruch änderte leider nicht viel an der Position der Krankenkassen, ausser der damaligen KFW, die vom ehemaligen Basel-Landschaft-Regierungsrat, Paul Manz, neu geleitet wurde. Die älteren Semester in unserm Verband mögen sich sicher an diese avantgardistische Versuchsrunde der Bezahlung unserer Leistungen, erinnern. Manz war später zusätzlich Mitglied der pro mente sana und förderte die Gründung der Spitex.

Die Schweizer Charta für Psychotherapie, als schulenübergreifende Befriedung der vielen privaten Ausbildungsinstitute, wird wie die Strass­burger Deklaration zur Psychotherapie in je eigenen Kapiteln gewürdigt. Im Schwung der Charta-Gründung von 1993, wurde es an der Zeit, die wohlverdienten Pioniere unseres Verbandes abzulösen. Dies ging nicht ohne Ach und Krach vonstatten. Dennoch, die neuen Standesregeln, die Berner Universitäts-Metastudie, der weiterhin vergebliche Kampf um Aufnahme als Leistungserbringer*innen im KVG 1996, die Zürcher Regelung, wonach nur noch Psychologie mit Psychopathologie als Grundausbildung für die Weiterbildung zur Psychotherapie anerkannt wurde, erschütterten unseren Verband in persönliche Richtungsstreitigkeiten. Verschiedene Vorstände und Präsidenten versuchten sich in Schlichtung und frischer Ausrichtung. Was im Rückblick klar wird ist, wie viele Mitgliedergelder in juristischen Streitereien, entweder untereinander oder gegen Kantone, verschlissen wurden.

Aus der Geschichte wissen wir, dass unser Kampf um die pluralen Zugänge für die Psychotherapie, von den relevanten Politiker*innen nicht aufgenommen wurde. Unser Argument, dass wir zwar Psychologie kennen müssen, dass diese Wissenschaft im Hause der Psychotherapie (neben Philosophie, Ethik, Soziologie, Anthropologie, Mystik, Heilkunde etc.) sicher ein Zimmer hat, wurde übergangen. Die Lobby des FSP war wuchtiger, und das ganze Anliegen um die Berufsregelung der Psycholog*innen zur Profilierung gegenüber den Ärzt*innen, den Politiker*innen war so wichtig, dass es schnellstmöglich geregelt und vom Tisch musste. Aber: Heute ist die ASP weiterhin für die Psychotherapie-Wissenschaft engagiert. Sie nennt ihre eigene Wissenschafts-Zeitschrift bei diesem Namen.

Tadellos bringt der Autor auch die Stimme der jüngeren Generation zu Gehör. Die neue Vorsitzende der Charta, Veronica Defièbre, spricht diesbezüglich Klartext, wie sich unser Beruf in einen Frauenberuf entwickelt hat. In einer Auflistung wird dargestellt, wer sich in den vergangenen 40 Jahre im Vorstand engagiert hat. Leider konnte der Autor die eine oder den anderen früher Mitwirkenden nicht sprechen, warum auch immer.

Die wichtigen Aussensichten, um die sich Aeschimann bemühte, sind mir sehr willkommen. Differenzen mit Vertreter*innen anderer Verbände, dem BAG sind wichtig und schärfen mit dieser Systemsicht das Wirken unseres Vorstandes und von uns allen.

Das ist ein weiterer Grund, falls Sie den brauchen, um sich diese einmalige Jubiläumsschrift zu erwerben. Sie ermutigt, bringt Tränen der Freude und der Trauer, ermöglicht dank historischer Informiertheit neue Argumente für die Weiterentwicklung unseres Berufsverbandes.

Theodor Itten