Trends Richtung Akademisierung der Psychotherapieweiterbildung

Tagungsbericht vom 30. Oktober 2021, Zürich

Kurt Roth | Heinz Meier

à jour! Psychotherapie-Berufsentwicklung 7 (14) 2021 16–18

CC BY-NC-ND

https://doi.org/10.30820/2504-5199-2021-2-16

Im Glockenhof in Zürich trafen sich 40 Interessierte, um sich mit aktuellen Fragen und Entwicklungen rund um die Weiterbildung zur Psychotherapeutin, zum Psychotherapeuten vertieft zu beschäftigen. Dabei sollte dem Aspekt der Akademisierung der Psychotherapieweiterbildung besondere Aufmerksamkeit geschenkt werden. Darunter ist zu verstehen, dass heute praktisch alle Universitäten in der Schweiz postgraduale Weiterbildungsgänge in Psychotherapie (PT) (Master of Advanced Studies/MAS) anbieten, zum Teil in Kooperation mit privaten Organisationen. Die Tagung wurde von der ASP organisiert (Judith Biberstein, Veronica Defièbre, Heinz Meier, Peter Schulthess und Emanuel Weber).

Neben den Vorträgen von Referent*innen von Schweizer Weiterbildungsinstituten wurden an der Tagung auch die Psychotherapieausbildung der Sigmund Freud PrivatUniversität (SFU) in Wien und die aktuelle Entwicklung in Deutschland vorgestellt. Die Präsidentin der Psychologieberufekommission (PsyKo) stellte zudem die Situation in der Schweiz aus ihrer Sicht dar.

Seit dem 1. April 2013 ist das Psychologieberufegesetz (PsyG) in Kraft und regelt unter anderem auch, welche Organisationen Weiterbildungsgänge, die zum Fachtitel «eidgenössisch anerkannte Psychotherapeutin/anerkannter Psychotherapeut» führen, anbieten dürfen. Die Weiterbildungsgänge müssen seit Inkraftsetzung des PsyG aufwändige Akkreditierungsverfahren durchlaufen, um die Anerkennung des Bundes (Eidg. Departement des Inneren/EDI) zu erhalten.

Obwohl Prof. Dr. Simone Munsch von der Universität Fribourg am Schluss der Tagung referierte, werden ihre Aussagen in diesem Bericht vorgezogen, da sie einen guten Überblick zur Situation in der Schweiz geben. Prof. Munsch ist Präsidentin der elfköpfigen PsyKo. Diese ist vom Bundesrat eingesetzt und berät ihn und das EDI in der Umsetzung des PsyG. Zurzeit sind die privaten Anbieter der PT-Weiterbildungsgänge in der PsyKo nicht direkt, sondern nur über die Berufsverbände (ASP, FSP, SBAP) vertreten.

Prof. Munsch stellte ihren Ausführungen die ökonomische Relevanz psychischer Störungen in der Schweiz voran. Aktuell geht man davon aus, dass die Kostenfolgen unbehandelter psychischer Störungen 7% des Bruttosozialprodukts (BSP) betragen. Untersuchungen zeigen, dass sich PT – neben der Behandlung des individuellen Leidens – auch ökonomisch lohnt, da sich bei 79% aller Personen nach einer PT eine deutliche Besserung der Symptomatik im Vergleich mit Personen, die keine PT erhalten, zeigt.

Bezüglich der Weiterbildung in PT in der Schweiz haben wir folgende Situation:

Zusammenfassung der weiteren Referate

Prof. Dr. Jens Gaab von der Universität Basel und lic. phil. Rainer Bürki, Institutsleitung pcaInstitut, referierten zum MAS in Personzentrierter Psychotherapie an der Universität Basel in Kooperation mit pcaSuisse (Schweizerische Gesellschaft für den personzentrierten Ansatz).

Die Kooperation kam zustande, da sich beide Partner bereits aus gemeinsamen Forschungsprojekten gut kannten. Zudem ist es für die Universitäten interessant und wichtig, den Psychologiestudierenden eine postgraduale Weiterbildung in Psychotherapie anzubieten. Jedes Jahr schliessen rund 100 Studierende an der Uni Basel mit einem Master in Psychologie ab, 60% von ihnen wollen klinisch arbeiten.

Im Jahr 2018 startete der erste Studiengang in Personzentrierter Psychotherapie. Pro Jahr gibt es einen Studiengang mit 16 Teilnehmenden. Für das pca war die Kooperation mit der Uni Basel Voraussetzung, um als Weiterbildungsinstitut weiter zu existieren, da sich sonst zu wenig Studierende für die Weiterbildung angemeldet hätten. Die Gesamtkosten der Weiterbildung bewegen sich für jede*n einzelne*n Studierende*n auf um die 50 000 CHF.

In der Kooperation ergeben sich einige wertvolle Synergien (z.B. in der Forschung, die Erfahrungen des Instituts in der praktischen Anwendung und Ausbildung von PT etc.). Um den Studierenden die Möglichkeit zur klinischen Praxiserfahrung zu geben, wird der Aufbau eines Ambulatoriums geprüft.

Prof. Dr. Christoph Negri, ZHAW, Institut für Angewandte Psychologie (IAP), und Karin Gfeller Grehl, Fachpsychologin für Psychotherapie FSP, Zentrum für Systemische Therapie und Beratung in Bern (ZSB), referierten zum MAS Systemische Psychotherapie mit kognitiv-behavioralem Schwerpunkt an der ZHAW in Kooperation mit dem ZSB.

Die Kooperation zwischen dem IAP und dem ZSB startete 2006 und war sehr erfolgreich. Seit 2020 bieten die beiden Institute die gleiche Weiterbildung an, jedoch getrennt. Die beiden Referierenden führten aus, dass die Kooperation wertvolle Synergien möglich machte. Das IAP konnte von der Praxisnähe des ZSB lernen und das ZSB profitierte unter anderem von der guten Infrastruktur der Hochschule. Der Grund für die Auflösung der Kooperation war der Erfolg der Weiterbildung, die Nachfrage war riesig. Zudem wurden mit der Zeit vermehrt die Unterschiede der beiden Organisationen bedeutsam: Hier das kleine, praxisorientierte Institut und dort das grosse, akademische Institut an der grossen Hochschule.

Prof. Negri findet es wichtig, dass es weiterhin ein breites und auch ausseruniversitäres Angebot der PT-Weiterbildung für die Studierenden gibt. Karin Gfeller findet den Begriff Akademisierung nicht hilfreich, es geht um eine Professionalisierung der PT-Weiterbildung, zum Beispiel auch im Bereich der Verbindung von Lehre und Forschung. Zudem muss geprüft werden, ob sich private Institute nicht besser organisieren und kooperieren sollten (z.B. in einem Dachverband), damit gemeinsame Interessen vertreten werden können.

Prof. Dr. Jutta Fiegl, Vizedirektorin der SFU Wien, stellte den Studiengang Psychotherapiewissenschaft an der SFU in Kooperation mit privaten Ausbildungsvereinen vor.

Seit 1991 ist die Psychotherapeutische Heilbehandlung in Österreich durch das Psychotherapiegesetz geregelt und der ärztlichen Behandlung gleichgestellt. Die PT ist eigenständig, sie erfolgt weder nach Verordnung noch unter Aufsicht einer anderen Berufsgruppe. Dieser gesetzliche Rahmen macht deutlich, dass die Voraussetzungen auch für die PT-Ausbildung in Österreich ganz anders sind als in der Schweiz. Die Psychotherapiewissenschaft (und -praxis) ist nicht ein Additivfach zu einer anderen Grundausbildung (in der Schweiz die Medizin und die Psychologie), sondern ein eigenständiger Beruf.

Die SFU kann deshalb ein Studium in PT-Wissenschaft anbieten, das direkt zur Praxiszulassung als Psychotherapeut*in führt. Dabei geht sie mit den Ausbildungsvereinen (in der Schweiz sind das die privaten WB-Institute) Kooperationen mit acht Vertiefungsrichtungen ein: Psychoanalyse, Individualpsychologie, Systemische Therapie, Verhaltenstherapie, Integrative Gestalttherapie, Psychodrama, Existenzanalyse, Transaktionsanalyse. Studierende wählen ab dem 5. Semester eine Vertiefungsrichtung.

Das Studium dauert fünf Jahre und schliesst mit dem sogenannten Magister in Psychotherapiewissenschaft ab. Bereits während des Studiums arbeiten die Studierenden an den Ambulatorien der SFU mit Patient*innen. Die Kosten für das gesamte Studium (die SFU ist eine private Universität) betragen rund 55 000 Euro.

Dr. Nikolaus Melcop, Vizepräsident der Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK), erläutert die aktuelle Entwicklung in Deutschland hinsichtlich des Direktstudiums.

Wichtig ist auch hier, dass in Deutschland (gleich wie in Österreich) die Psychotherapie als eigenständiger Beruf gilt und anderen Heilberufen (Medizin, Zahnmedizin, Pharmazie) gleichgestellt ist. Die BPtK ist zusammen mit den Länderkammern zuständig für die Umsetzung der gesetzlichen Rahmenbedingungen.

Die Reform der PT-Ausbildung wurde anlässlich des 25. Deutschen Psychotherapeutentages 2014 gefordert: Ablösung der postgradualen «Ausbildung nach der Ausbildung» durch ein Studium mit Approbation und nachfolgender Weiterbildung.

Seit dem 1. September 2020 werden die Direktstudiengänge in Psychotherapie von den Universitäten angeboten. Im Rahmen der Übergangslösung können die bisherigen Ausbildungsmodelle noch bis maximal 2035 weitergeführt werden. Die PT-Ausbildung gliedert sich in das Masterstudium ein und schliesst mit der staatlichen Prüfung für die Approbation (= staatliche Bestätigung zur Ausübung des Berufs als Psychotherapeut*in) ab.

Anschliessend beginnt die 60-monatige Weiterbildungszeit in hauptberuflicher und angemessen vergüteter Berufstätigkeit unter Anleitung von praxiserfahrenen Weiterbildungsbefugten (dies müssen Psychotherapeut*innen sein) in der stationären, teilstationären und ambulanten psychotherapeutischen Versorgung. Je nach Weiterbildung erlangt man nach dem Abschluss der Weiterbildung den Zusatztitel «Fachpsychotherapeut*in für Erwachsene, für Kinder- und Jugendliche oder für Neuropsychologie».

Fazit der Tagung

Zwischen den einzelnen Referaten fanden angeregte Diskussionen statt, zum Teil in Untergruppen. Als Erkenntnisse der Tagung sind folgende Punkte festzuhalten:

Kurt Roth ist Vorstandsmitglied der ASP.

Heinz Meier ist Vorsitzender der Kommission für Qualitätssicherung (KQS) der ASP.