ASP-Stellungnahme zur Qualitätsstrategie und den Vierjahreszielen des Bundesrats

Marianne Roth

à jour! Psychotherapie-Berufsentwicklung 7 (14) 2021 22–23

CC BY-NC-ND

https://doi.org/10.30820/2504-5199-2021-2-22

In einem Konsultationsverfahren zur Strategie und den Vierjahreszielen im Hinblick auf die Sicherung und Förderung der Qualität der Leistungen, das der Bundesrat im Sommer lanciert hat, konnte die ASP zusammen mit anderen Akteuren des Gesundheitswesens Stellung beziehen. Die Anstrengungen des Bundes, die Qualität der Leistungen zum Nutzen der Patient*innen weiterzuentwickeln und verstärkt sichtbar zu machen, sind unterstützenswert. Die Strategie lässt jedoch Fragen offen, die unbedingt beantwortet werden müssen.

Mitwirkung und Rollenteilung müssen geklärt werden

Ein zentraler Erfolgsfaktor für die Erreichung der ausformulierten Ziele ist der Einbezug der betroffenen Leistungserbringer. Dieser Grundsatz ist in der aktuellen Version der Qualitätsstrategie und in den Vierjahreszielen zu wenig erkennbar. Die Relevanz der einzelnen Leistungserbringer und die jahrelangen Aktivitäten zur Qualitätsentwicklung der Berufsverbände müssen in der Strategie als Grundlage berücksichtigt werden. Eine Mitwirkung der Berufsverbände in der kürzlich geschaffenen Eidgenössischen Qualitätskommission (EQK) ist nicht vorgesehen. So sind zwar die Pflegefachpersonen als grösste Berufsgruppe des Gesundheitswesens darin vertreten, was begrüssenswert ist, nicht aber andere direkt von den Aktivitäten der Kommission betroffene Berufsgruppen oder deren Verbände.

Die Rollenteilung von Bund, Kantonen und Akteuren des Gesundheitswesens ist einzuhalten und klarer zu regeln. Die Aufgaben des Bundes sollten primär auf die Schaffung von bereichs- und berufsgruppenübergreifenden Grundlagen liegen und sich auf die Makroebene konzentrieren. Die Revision des KVG fordert explizit den Abschluss von Qualitätsverträgen zwischen den Verbänden der Leistungserbringer und den Verbänden der Versicherer. Daher muss deren Verhandlungsfreiheit gewahrt werden. Die vorliegenden Dokumente greifen jedoch massiv in den Zuständigkeitsbereich der Leistungserbringer und der Versicherer ein, indem schon detaillierte Vorgaben betreffend Qualitätsverträge und -konzepte gemacht werden. Auf die Problematik der Leistungserbringer, die keinem Berufsverband angehören, wird in den Dokumenten nicht eingegangen. Wer schliesst mit ihnen die Verträge? Wer kontrolliert sie? Die Rolle der Berufsverbände, insbesondere im Bereich der Psychotherapie, wo keine Verbandsmitgliedschaftspflicht besteht, bleibt unklar.

Die Qualitätsstrategie sollte auch Klarheit schaffen im Hinblick auf widersprüchliche Anforderungen des Gesetzgebers. So ist zum Beispiel folgender Punkt unklar: Regelung des Datenschutzes für Qualitätsmessungen zur Verwendung patient*innenbezogener Daten für Massnahmen zur Qualitätsverbesserung und für die verlangte Transparenz. Nur wenn die entsprechenden Rahmenbedingungen geklärt sind, kann sich die Qualität der Leistungen auf der Meso- und Mikroebene verbessern. Diesbezügliche Handlungsfelder fehlen in Strategie und Zielen fast vollständig.

Unrealistischer Zeitrahmen

Ein Kulturwandel – Stichwort «Just Culture» – braucht Zeit und muss begleitet werden. Als Basis dieses Wandels verstehen wir eine Lern- und Vertrauenskultur, in der einzelne Leistungserbringer fähig und motiviert sind, die Qualitätsmassnahmen im Alltag auch umzusetzen. Dies benötigt Zeit und Ressourcen, die jede*r Einzelne aufwenden muss.

Die ersten Qualitätsverträge müssen per 1. April 2022 eingereicht, dann genehmigt und im Anschluss umgesetzt werden. Der sehr kurzfristige Zeitplan mit äusserst ambitionierten und in die Vertragsfreiheit der Qualitätsvertragspartner eingreifenden Zielen ist in der Praxis nicht umsetzbar und führt zu einer Überregulierung des gesamten Gesundheitssystems. Die zeitlichen Realitäten kollidieren damit komplett mit den grundsätzlichen Überlegungen der bundesrätlichen Strategie. Die Vierjahresziele müssen daher sinnvollerweise in kurz-, mittel- und langfristige Ziele unterteilt werden.

Umsetzungsfinanzierung ist ungeklärt

Die Umsetzung der Strategie wird alle Ebenen stark beschäftigen und zusätzliche Ressourcen erfordern. Die Umsetzung der Qualitätsverträge und -konzepte durch Berufsverbände und Versicherer ziehen Entwicklungs- und Implementierungskosten nach sich (Mesoebene). Einzelne Leistungserbringer und Gesundheitsfachpersonen werden zusätzliche Systeme einführen müssen und einen Mehraufwand für die Durchführung und den Nachweis ihrer Qualitätsentwicklungs- und Qualitätssicherungsmassnahmen haben (Mikroebene). Für beides ist die Finanzierung nicht geklärt. Einzig für die Entwicklungsarbeiten auf der Makroebene ist eine Finanzierung grob umschrieben. Den Leistungserbringern und ihren Verbänden werden damit viele Aufgaben zugeschrieben, ohne dass ihnen entsprechende Mitsprache bzw. finanzielle Mittel zugestanden werden.

Wir sind sehr besorgt, dass die Umsetzung auf der Mikroebene auf Kosten der therapeutischen Tätigkeit mit den Patient*innen gehen wird und dass damit weitere Ressourcen in den administrativen Bereich verschoben werden. Die Finanzierung der Teilnahme an den Qualitätssicherungsmassnahmen und die Aufteilung der Entwicklungs- und Implementierungskosten müssen zwingend geklärt werden, bevor die Umsetzung des Qualitätsvertrags und das darin enthaltene Qualitätsentwicklungskonzept umgesetzt wird. Sonst ist zu befürchten, dass die Umsetzung aufgrund mangelnder finanzieller Mittel scheitert.

Fehlende Qualitätsvorgaben für die Versicherer

In den vorliegenden Dokumenten vermissen wir Qualitätsvorgaben für die Versicherer. Es ist wichtig, dass neben den finanziellen Zielsetzungen auch für die Versicherer klare Vorgaben für die Qualität ihrer Leistungen formuliert sind. Da sowohl die Leistungserbringer wie auch die Versicherer im Dienste der Patient*innen handeln, sollen sich beide Seiten auf Augenhöhe begegnen können.

Befähigung von Patient*innen und angehenden Berufsleuten

Aufgrund der Ausführungen in der Qualitätsstrategie wird den Patient*innen eine neue Rolle zugesprochen. Sie sollen selbstbestimmt die Gesundheitsversorgung mitgestalten. Das ist ein hoher Anspruch. Damit sie den Anforderungen gerecht werden können, müssen Patient*innen gezielt unterstützt werden. Es bleibt indes unklar, welche Massnahmen der Bund hierzu vorgesehen hat, damit dies auch wirklich gelingen kann. Zudem ist innerhalb der Qualitätsstrategie die Rolle der Patient*innenorganisationen zwingend zu klären.

Die Inhalte der Qualitätskonzepte und -verträge müssen auch in der Aus-, Fort- und Weiterbildung der Gesundheitsberufe aufgegriffen werden. Bei der Durchsicht der Liste der Konsultationsadressen ist uns aufgefallen, dass die Aus- und Weiterbildungsstätten nicht aufgeführt sind, was für uns nicht nachvollziehbar ist.

Für eine erfolgreiche Umsetzung der Qualitätsstrategie des Bundesrats erachten wir die Klärung dieser und weiterer offenen Fragen als eine zwingende Voraussetzung.

Marianne Roth ist Geschäftsleiterin der ASP.