Interview mit ASP-Mitglied Emanuel Weber

à jour! Psychotherapie-Berufsentwicklung 7 (14) 2021 31–32

CC BY-NC-ND

https://doi.org/10.30820/2504-5199-2021-2-31

Was waren Ihre Beweggründe, den Beruf eines Psychotherapeuten zu wählen?

Bereits in meinem Erstberuf als Pfarreiseelsorger war es möglich, Menschen in ihren unterschiedlichen Lebenssituationen zu begegnen. Als Gefängnisseelsorger führte ich vor allem Einzelgespräche und begleitete Inhaftierte durch viele Krisen und Prozesse. Das Setting der Seelsorge hat jedoch oft einen offenen, stark situativ geprägten Charakter. Demgegenüber schätze ich es in der Psychotherapie, mit Menschen verbindlicher an einem Entwicklungsprozess arbeiten zu können. Auch bringen Menschen, die eine Psychotherapie aufsuchen, meist klarere Beweggründe mit, auch wenn sie diese vielleicht noch nicht formulieren können.

Was ist Ihr beruflicher Hintergrund?

Schon früh bewegte mich die Frage, wie Leben – insbesondere gutes Leben – gelingen kann. Die Frage kann man ethisch und salutogenetisch verstehen. Beides war mir wichtig. In meinem Erststudium der Theologie erkannte ich, dass es zwar nicht belanglos ist, wie wir eine ethische Frage beantworten (denken wir nur an die Auswirkungen der globalisierten Finanzindustrie mit der Spaltung in Arm und Reich), dass die Antworten jedoch stark zeit- und kulturabhängig sind. Schon in der Bibel finden sich widersprüchlich anmutende Antworten; und das ist auch gut so, weil es den Raum der Freiheit – und Verantwortung – öffnet. Den salutogenetischen Aspekt sehe ich als einen Kern der Theologie: Die zentralen Erzählungen – die Befreiung Israels aus Ägypten sowie Tod und Auferstehung Jesu, aber auch viele Psalmen und das Buch Hiob – sprechen vom Weg durch das Leiden hindurch in ein freieres Leben.

In der universitären Theologie fehlte mir aber der emotionale Zugang zu meinen Fragen. Ich lernte im Umfeld über meditativen Tanz, Bibliodrama und ignatianische Exerzitien die Kraft der Arbeit über Köper und Emotion kennen. Mit der Ausbildung in existenzanalytischer Psychotherapie nach Alfried Längle fand ich dann eine Methode, die vieles davon verbindet. Von Viktor Frankl her sucht sie einen aktiven, würdevollen Umgang mit dem Leiden. Sie unterstützt Menschen darin, gut auf ihr ganz persönliches Gespür für ein stimmiges Handeln zu achten. Und sie lenkt den Blick neben dem Leidvollen auf das schöpferisch mögliche Tun und auf das, was uns das Leben einfach so – quasi gratis – an Gutem anbietet, wenn wir es nur ergreifen. Das Studium an der Universität Krems vervollständigte schliesslich meinen psychologischen Hintergrund.

Arbeiten Sie als selbstständiger Psychotherapeut in freier Praxis oder sind Sie zusätzlich als delegierter Psychotherapeut tätig?

Nach einer Zeit der Arbeit in Delegation habe ich mich für die berufliche Selbstständigkeit entschieden, da ich gern auf Augenhöhe mit anderen Berufsgruppen zusammenarbeite. Es entspricht auch meinem emanzipatorischen Verständnis von Psychotherapie. Wichtig ist mir, dass die Selbstständigkeit nicht in die Einsamkeit führt. Deshalb ist mir die Vernetzung mit Berufskolleg*innen wichtig.

Gibt es noch einen weiteren Beruf, den Sie zusätzlich zur Psychotherapie ausüben?

Seit bald zehn Jahren arbeite ich beruflich nur noch als Psychotherapeut. In zwei Berufen die nötige Vernetzung und Weiterbildung zu pflegen, ist auf Dauer sehr aufwändig – insbesondere, wenn noch Zeit für die Familie bleiben soll.

Was ist Ihre Spezialisierung?

Ein Schwerpunkt ist Traumatherapie. Ich erlebe es als Geschenk mitzuerleben, wie Menschen Entlastung finden von schweren Erlebnissen und ihr Leben mit neuen Kräften zu gestalten beginnen. Zunehmend arbeite ich auch mit Paaren, was ich zurzeit in einer Weiterbildung vertiefe.

Fühlen Sie sich mit Ihrer beruflichen Situation zufrieden?

Die psychotherapeutische Arbeit erlebe ich sehr erfüllend. Von daher antworte ich mit Ja. Was die Rahmenbedingungen angeht, wären Verbesserungen wichtig. Ich bin gespannt, wie sich das Anordnungsmodell entwickeln wird.

Gibt es etwas, das Sie sich anders wünschen?

Besonders für den Bereich der Psychotherapie ist es wichtig, dass die Ökonomisierung des Gesundheitswesens kritisch hinterfragt wird. Jegliche Form von Druck führt dazu, dass sich Patient*innen, aber auch Therapeut*innen, nicht frei auf Veränderungsprozesse einlassen können. Das heisst: Druck vermindert die Qualität.

Was wäre Ihr Fokus, wenn Sie im Vorstand der ASP wären?

Der Vorstand macht sehr gute Arbeit. Manchmal bedaure ich, dass die ASP etwas im Schatten anderer Verbände steht. Ihre Existenz und ihre Stärken sind wenig bekannt – wenigstens nehme ich das ausserhalb des Grossraumes Zürich so wahr. Deshalb finde ich es gut, dass der Vorstand den Kontakt mit Psychologie-Studierenden aufgenommen hat.

Was hat Sie dazu bewogen Mitglied der Kommission für Qualitätssicherung zu werden? Inwiefern denken Sie, braucht es die Arbeit dieser Kommission im aktuellen berufspolitischen Umfeld?

Die KQS ist in einem Umbruch, da ein wichtiger Teil ihrer früheren Aufgabe, die Überprüfung der Qualitätsstandards der Weiterbildungsinstitute, heute von eidgenössischen Behörden übernommen wird. Trotzdem halte ich es für wichtig, dass der Verband den Instituten Unterstützung für den Austausch über Fragen der Qualitätssicherung bietet. Die Tagung zur Akademisierung der Psychotherapieweiterbildung wird weitere Impulse geben.

Was ist Ihre Vision in Ihrem beruflichen Alltag?

Im Moment warte ich mit Visionen etwas ab, bis mehr Klarheit über das Anordnungsmodell besteht. Ich vermute, dass wir als Psychotherapeut*innen, die bisher selbstständig gearbeitet haben, in Zukunft eher enger mit Psychiater*innen zusammenarbeiten werden, da sich mit der Abrechnung auf Grundversicherung vermehrt Patient*innen mit schwereren Leiden an uns wenden werden. Deshalb hoffe ich, dass sich ein gutes Miteinander der Berufsgruppen entwickeln wird.

Emanuel Weber ist eidg. anerkannter Psychotherapeut ASP und wohnt in Olten. Er ist ASP-Mitglied seit 2013. E-Mail: praxis@emanuel-weber.ch

Das Interview wurde schriftlich geführt von Veronica Defièbre.