Bericht von der Tagung zum 30-jährigen Bestehen der EAP

12.–13. März 2022, online/Wien

Peter Schulthess

à jour! Psychotherapie-Berufsentwicklung 8 (15) 2022 13–16

CC BY-NC-ND

https://doi.org/10.30820/2504-5199-2022-1-13

Die EAP wurde 1991 als europäischer Dachverband für Psychotherapie gegründet unter Mitbeteiligung des damaligen SPV (heute ASP). Wegen Corona-Restriktionen konnte der runde Geburtstag der EAP nicht 2021 gefeiert werden, sondern wurde jetzt im März in Wien nachgeholt mit einem Kongress, zu dem weltweit führende PsychotherapeutInnen als ReferentInnen eingeladen wurden. Das Thema «The Hope of Psychotherapy for our Endangered World» wurde unter dem Eindruck der Coronakrise, der Klimakrise und anderen Bedrohungen des Lebens auf unserem Planeten gewählt. Was kann Psychotherapie beitragen zur Bewältigung solcher Krisen?

Damals war noch kein Krieg in der Ukraine vorauszusehen. Das Kongressthema wurde dadurch aber noch aktueller und prägte den Kongressverlauf mit.

350 Personen nahmen teil. Entgegen der Hoffnungen der OrganisatorInnen konnte der Kongress auch dieses Jahr nicht mit physischer Präsenz in Wien durchgeführt werden, da die Coronakrise zum Zeitpunkt des Entscheides noch nicht ausgestanden war und zu viele Restriktionen für die Einreise nach Österreich eine Teilnahme erschwerten. Immerhin konnten dank der mittlerweile eingetretenen Lockerung wenigsten einige der OrganisatorInnen und eingeladenen GästInnen vor Ort teilnehmen.

Den Auftakt machte Alfred Pritz mit einer Schilderung über die Gründung der EAP und deren Entwicklung bis heute. Die Gründung erfolgte auf Basis der «Strassburg-Deklaration» zur Psychotherapie als eigenständigem Beruf in einem kleinen informellen Kreis von InitiatorInnen, die eine Vision für einen europaweiten Verband der PsychotherapeutInnen hatten, der geprägt sein sollte durch Integration aller seriösen Therapieansätze in möglichst vielen europäischen Ländern. Gemeinsam erarbeitete Minimalstandards für die Ausbildung und ethische Richtlinien sollten eine Qualitätssicherung gewährleisten. 1992 wurde der Verband auch statutarisch gegründet mit Sitz in Wien. Er ist in den folgenden Jahren rasch gewachsen. Heute sind ihm 128 Psychotherapie-Institutionen aus 41 Ländern angeschlossen. Die EAP ist die von der EU-Kommission anerkannte Partnerin für die Vertretung der Psychotherapie und versucht die Gesetzgebung in Europa zu beeinflussen.

Es folgte ein Vortrag zum Tagungsthema von der Präsidentin der EAP, Patricia Hunt. Sie versicherte den ukrainischen KollegInnen ihre Anteilnahme und schilderte verschiedene Initiativen der EAP und deren Verbände zur Unterstützung der Geflohenen. Sie führte weiter aus, wie wichtig zur Bewältigung der Klimakrise eine Änderung des Denkens und der individuellen Verhaltensweisen sei, was sie an ihrem eigenen Beispiel mit dem Umstieg von einem Fahrzeug mit fossilem Brennstoff zu einem Elektroauto illustrierte. Sie meinte, wir alle seien gefordert und trügen durch unser Verhalten zu einer Änderung bei. Die Hoffnung der Psychotherapie läge also auf einer Veränderung jeder und jedes Einzelnen von uns.

In einem Roundtable, der zwar nur ein Dreiertisch war, da die übrigen vier Teilnehmenden online zugeschaltet waren, schilderten sieben Past Presidents der EAP, wie sie die Bedeutung des Verbandes aus ihrer Amtstätigkeit in Erinnerung hätten und wie sie die Bedeutung der EAP für die Zukunft einschätzen würden. Alle betonten, wie wichtig es sei, über die Grenzen der verschiedenen Therapierichtungen und Nationen zu schauen und eine inklusive Politik zu betreiben, Vielfalt, Dignität und Menschenwürde zu vertreten. Beziehungen zwischen BerufskollegInnen über Ländergrenzen seien wichtig, gerade in Zeiten politischer Spannung. Dass dies auch Grenzen habe, zeigte die Position jenes Ex-Präsidenten, der heute dem ukrainischen Verband der PsychotherapeutInnen vorsteht. Er setzte sich von der Diskussionsrunde ab und nutzte die Gelegenheit, ein Statement seines Verbandes zu verlesen, in dem er seine Enttäuschung darüber ausdrückte, dass an den EAP-Meetings tags zuvor sein Antrag auf Suspendierung der EAP-Mitgliedschaft der allrussischen Liga der PsychotherapeutInnen nicht stattgegeben worden war. Es sei in der gegenwärtigen Situation für ihn nicht möglich, an einem Kongress mitzuwirken, wo auch RussInnen beteiligt wären. Das zeigte, wie tief die Verwerfungen auch unter BerufskollegInnen in der Folge des aktuellen Krieges sind. Andere betonten, ein Beitrag der Psychotherapie könne gerade sein, durch das Halten von Beziehung und Kontakt und durch das Gespräch zur Deeskalation beizutragen. Unter dem Eindruck der täglichen Bombardements und Beschiessungen, der vielen Opfer und der mehr als zwei Millionen Flüchtenden könnten viele ukrainische KollegInnen diese Haltung nicht verstehen, das sei heute der falsche Zeitpunkt, es gälte klar Stellung zu beziehen, wer die Bösen seien, und sich von denen nicht nur mit Worten, sondern auch mit Taten abzugrenzen. Nur dies würde dem Anspruch nach Vertretung von Dignität und Menschenwürde gerecht werden.

Das erste Keynote-Referat hielt Emmy van Deurzen zum Thema «Rising from our existential Crisis: Widening the Human Horizon». Sie ist Philosophin, Existenzial-Therapeutin und Buchautorin. In sehr eindrücklicher Weise verstand sie es, Krisen durch persönliche Schicksalsschläge, gesellschaftliche Krisen, Pandemie, Einwanderungspolitik und den aktuellen Krieg in Verbindung zu bringen und so sehr praxisnah relevante, fachliche und philosophische Information zu verbinden. Die existenzialistische Sicht öffnete aus all diesen Krisen Hoffnung für ein Wiederaufstehen und für Sinn. Ein herausragender Satz war: «Sei wer Du bist, stehe zu Dir und handele so, wie Du das für sinnvoll und richtig findest.» Und: «Drücke Deine Gefühle aus!» Im Zoom-Chat kamen dann auch sehr viele Dankesworte auch aus der Ukraine und aus Russland, wie hoffnungsbringend ihre Ausführungen seien.

Ein aufgezeichnetes Interview von Eugenijus Laurinaitis, Generalsekretär der EAP, mit dem mittlerweile fast 91-jährigen Irvin Yalom stellte sicher einen Höhepunkt des Kongresses dar. Das Gespräch drehte sich um Fragen des Sterbens und des Todes und bezog sich auf das jüngste Buch von Yalom, in dem er den Sterbeprozess seiner Frau, mit der er seit dem 14. Altersjahr zusammen war, schildert, und was dieser mit ihm gemacht hatte. Das Gespräch wurde von Laurinaitis so geführt, dass viel persönliche Tiefe aufkam und Yalom wiederholt meinte, das Gespräch täte ihm auch therapeutisch gut und er würde gern zu ihm in Therapie kommen, hätte er nicht schon einen ebenfalls guten Therapeuten. Yalom betonte, wie wichtig die Authentizität von TherapeutInnen sei und die Bereitschaft, wirklich zuzuhören. Da das einen nie unberührt lasse, halte er es für wichtig, dass TherapeutInnen auch immer wieder selbst in Therapie gehen würden. Er hätte das mehrmals getan im Laufe seines Berufslebens. Er wisse, dass er nicht mehr lange zu leben habe (er ist sehr krank und es war unsicher, ob das Interview überhaupt zustande kommen würde), was ihm auch recht sei, da er ohne seine Frau kein längeres Leben mehr vor sich sähe. Das Gespräch war sehr berührend (es ist auf YouTube anzusehen) und gab einen tiefen Eindruck des Menschen und Fachkollegen Irvin Yalom.

Der zweite Kongresstag begann mit einem Vortrag der griechischen Paar- und Familientherapeutin Kyriaki Polychroni. Sie fokussierte auf die transgenerationalen Traumata, die durch Kriege verursacht werden, und ging der Frage nach, was denn Hoffnung schaffen könne. Ihre Antwort: Verbundenheit, Beziehung, Vertrauen in das Leben – «I connect therefore I am.» Sie bezog sich bei ihren sehr praxisnahen Ausführungen theoretisch auf die Bindungstheorie und auf die Systemische und die Emotionsfokussierte Therapie.

Noch bevor die nächste Referentin übernehmen konnte, trat der Litauische Generalsekretär ans Mikrofon und sagte, er hätte Informationen erhalten, dass Russland offiziell bekannt gegeben hätte, als nächstes Litauen, sein Heimatland, anzugreifen. Es tue ihm leid, den Kongress unterbrechen zu müssen, er wolle sich verabschieden und wisse nicht, ob er uns je wiedersehen könne. Das sass als tiefer Schock und warf alle in das Hier und Jetzt des Krieges.

Sue Daniel, eine bekannte australische Psychodramatikerin, hatte eine schwierige Aufgabe, ihren Beitrag nach diesem Vorfall wie vorbereitet zu leisten. Sie nahm die Situation gekonnt auf und liess die in Wien Anwesenden miteinander sprechen und in Beziehung bringen zum Litauer, der diese Nachricht einbrachte. Sie arbeitete mit ihnen live so, wie man das im Psychodrama tut. Es wurde eine Skulptur gebildet, die Schock, Wut, Ohnmacht Hoffnung und Vertrauen aufnahm; Begriffe, die im Zoom-Chat auftauchten und von den Teilnehmenden verkörpert wurden. Derweil liefen im Chat Kommentare, dass man versuchte habe, die Quelle dieser Nachricht zu eruieren, sie würde aber nirgends bestätigt. Einzig eine Pressemitteilung eines ukrainischen Journalisten wurde gefunden, der dies als Möglichkeit erwähnte. So war der ganze Kongress auch der Frage ausgesetzt, wie manipulativ Kriegsnachrichten sein können und was sie bewirken, ob man wohl Fake News aufgesessen sei. Sue Daniel liess sich diese Chat-Kommentare vorlesen und fragte die Teilnehmenden, wie dies nun auf sie wirke. Daraus entstand eine weitere soziodramatische Aufstellungsarbeit. Egal, ob die Nachricht objektiv korrekt war oder nicht – die emotionale Reaktion brachte die Gefühlssituation und die Ängste, die während des ganzen Kongresses da waren, in den Vordergrund und darüber konnte dann auch gesprochen werden, auch in den sogenannten Breakout Rooms in Kleingruppen.

Das folgende Referat kam von Renos Papadopoulos, einem Jungianer und Direktor des Zentrums für Trauma, Asyl und Flüchtlinge an der Universität Essex. Er betonte, wie wichtig es sei, Überlebende nicht zu früh mit einer PTBS zu diagnostizieren. Man solle Überlebende nicht viktimisieren und pathologisieren, sondern als das nehmen, was sie sind: Menschen, die fürchterliches überstanden haben und darauf psychisch und physisch reagieren. Er warnte auch davor, die TäterInnen zu dämonisieren. Es sei einfach, in Gut und Böse zu unterscheiden, doch seien die TäterInnen auch Menschen, die eine böse Tat verbracht hätten, deswegen aber nicht dehumanisiert werden sollten. Es gälte, mit der ganzen Komplexität zu arbeiten. Es gehe ums Zuhören und Sich-Beziehen, nicht ums Verurteilen des Menschen, sondern der Tat. Das sei anspruchsvoll, würde zur Bewältigung des Erlebten aber mehr beitragen, als wenn Dehumanisierung mit Dehumanisierung vergolten würde. Damit sei niemandem gedient.

Das letzte Referat hielt eine Vertreterin der relationalen Psychoanalyse, die sich auf die Intersubjektivitätstheorie stützt. Sie thematisierte Machtaspekte in Gesellschaft und Kultur, insbesondere der amerikanischen Kultur mit dem Überlegenheitsaxiom der Weissen gegenüber den Schwarzen. Es gälte die Logik des Wettbewerbs, um Überlegenheit zu dekonstruieren und so auf eine neue intersubjektiv begründete Gesellschaftsorganisation zu kommen. Da sie oft ein psychoanalytisches Vokabular benutzte, keine Folien zeigte und vom Blatt ablas, meldeten sich viele im Chat, dass es schwierig sei, ihr zu folgen.

Insgesamt war es ein sehr gelungener Kongress, der die aktuellen Zeitthemen aufnahm, zum grenzüberschreitenden Gespräch und Austausch unter FachkollegInnen anregte und so tatsächlich etwas Hoffnung schuf. Alle Beiträge werden auf YouTube einsehbar sein.

Peter Schulthess ist Vorstandsmitglied der ASP.