à jour! Psychotherapie-Berufsentwicklung 8 (16) 2022 20–21
https://doi.org/10.30820/2504-5199-2022-2-20
Was waren Ihre Beweggründe, den Beruf der Psychotherapeutin zu ergreifen?
Ich glaube, dass die erste Begegnung mit der Philosophie und dann mit der Psychologie bei Prof. Zambelloni am Gymnasium von Mendrisio die ersten Hinweise auf meinen Weg waren. Wie viele Teenager war ich mir in der Tat nicht ganz im Klaren darüber, welchen Weg ich mitten in der Pubertät einschlagen würde. Später war es die Begegnung mit Paolo Quattrini und Paolo Baiocchi, beide Leiter einer Schule für Gestalttherapie, die meinen Weg und meine Wahl der Spezialisierung konkretisierte. Manchmal sind es glückliche Begegnungen, die es uns ermöglichen, unseren Weg zu verstehen, und ich betrachte mich in dieser Hinsicht als sehr glücklich.
Was ist Ihr beruflicher Werdegang?
Als ich mein Studium beendet hatte, bekam ich die Möglichkeit, Fachbetreuerin zu werden, und ich blieb für die Zeit des Praktikums, in der ich die Möglichkeit hatte zu forschen, Abschlussarbeiten zu betreuen und bei Prüfungen zu helfen. Es war eine sehr intensive Zeit. Danach hatte ich dank meiner Diplomarbeit über Empowerment die Möglichkeit, bei einem Beratungsunternehmen einzusteigen, und von dort aus auch bei vielen multinationalen Unternehmen in der Personalabteilung. Mit dieser Erfahrung konnte ich in ganz Europa in den Bereichen Training, Auswahl und Coaching unterwegs sein. Nach etwa zehn Jahren beschloss ich, mich beruflich zu verändern und eine Schule für Gestaltpädagogik in Florenz zu gründen, zusammen mit Paolo Quattrini. Ich konnte mehrere Praktika in jugendpsychiatrischen Rehabilitationseinrichtungen, Familienberatungsstellen und an der Schule für Psychotherapie absolvieren. Ich habe eine weitere Spezialisierung in Gestalt-Spiel-Therapie gemacht, wo ich auch Therapeutin bin, dann eine Spezialisierung in Traumatherapie in EMDR und PIR und auch einen weiteren Master in den 12 Meditationen, wo ich Botschafterin dieser Methode bin. In Zukunft würde ich gern eine gestaltorientierte Psychotherapieschule in Lugano eröffnen und lade daher Interessierte ein, mit mir Kontakt aufzunehmen.
Arbeiten Sie als selbstständige Psychotherapeutin in einer Privatpraxis und/oder sind Sie (möglicherweise auch) als delegierte Psychotherapeutin tätig?
Ich habe von Anfang an als selbstständige Psychotherapeutin praktiziert, weil ich glaube, dass dies ein Weg für Psychotherapeut*innen sein kann, sich persönlich weiterzuentwickeln und gleichzeitig mit innovativen Methoden und Techniken in Kontakt zu bleiben. Darüber hinaus ermöglicht die flächendeckende Verbreitung dieser Art von Strukturen einen breiten Zugang zur Psychotherapie.
Gibt es neben der Psychotherapie noch einen anderen Beruf, eine andere Tätigkeit, die Sie ausüben?
Ja, ich bin auch Standortleiterin einer bundesweiten Kinder- und Jugendhilfestiftung und leite dort rund 20 Berater*innen. Ich glaube, dass ich als Psychotherapeutin einen aktiven Beitrag zur Primär-, Sekundär- und Tertiärprävention leisten kann, die in diesem Dienst geleistet wird.
Worauf sind Sie spezialisiert?
Im Laufe der Zeit habe ich mich auf die Traumatologie für Erwachsene, Kinder und Jugendliche spezialisiert. Ich beschäftige mich mit existenziellen Problemen, Stimmungsstörungen, Persönlichkeitsstörungen, komplexen Trauerfällen, Zwangsstörungen, Angst, Panik, existenziellen Krisen, Spielsucht, Kaufsucht, sozialen Medien, postpartalen Depressionen, Phobien, posttraumatischem Stress, Selbstwertproblemen, Unterstützung bei Elternschaft und Adoption, emotionalen Abhängigkeiten, Missbrauch, Dissoziation, Verhaltensstörungen und Entwicklungsstörungen.
Sind Sie mit Ihrer beruflichen Situation zufrieden?
Ich widme viel Zeit der Supervision und meiner Ausbildung, und ich glaube, dass dies mir erlaubt, meine intellektuelle Neugierde hoch zu halten und die Möglichkeit zu haben, auf meinem Weg Neues und Anregendes zu treffen, neue Methoden und Techniken an mir selbst zu erproben, um sie meinen Patient*innen anbieten zu können. Die Gestalt geht von der Erfahrung aus und verwandelt sie dann in ein Phänomen, indem sie das Gefühl der Erfahrung als ersten Kanal für die Entwicklung des Bewusstseins ins Leben ruft.
Gibt es etwas, das Sie gern ändern würden?
Ich würde mir wünschen, dass der Zugang zur Psychotherapie erleichtert wird, insbesondere für Minderjährige. Nach der Pandemie haben viele Kinder mehr oder weniger schwere Formen des Unwohlseins wahrgenommen und oft kein Zuhause bei ihren Eltern und die Möglichkeit gefunden, mit der Frühförderung zu beginnen. Es wäre schön, wenn man der Generation Z, die so sensibel auf ihre eigene psychische Gesundheit achtet, Plätze für Therapiezyklen anbieten könnte, damit man sich über den wirtschaftlichen Aspekt hinaus um sie kümmern kann.
Was wünschen Sie sich von der ASP?
Es wäre schön, mehr Dienstleistungen anzubieten, um private Psychotherapieräume auf der Beratungs- und Unterstützungsseite zu öffnen. Die ersten Jahre sind recht schwierig, und vielleicht wäre es nützlich, eine Referenz in dieser Hinsicht zu haben. Nicht nur für Berufsanfänger*innen, sondern für alle, die eine psychotherapeutische Praxis eröffnen wollen. Es gibt viele Fähigkeiten, die man erlernen muss, von der Werbung über das wirtschaftliche Management bis hin zum Know-how, das man braucht, um in einem solchen Unternehmen erfolgreich zu sein, insbesondere bei Gemeinschaftspraxen oder assoziierten Praxen, die kleine Unternehmen sind, und als solche muss man lernen, wie man sie profitabel führt.
Fühlen Sie sich in der ASP vertreten und wertgeschätzt?
Mir gefiel die starke Position, die ASP bei der Umsetzung des neuen Psychotherapiemodells einnahm, und auch die Webinarkommunikation, die sie betrieb. Ich hielt es auch für einen wichtigen Moment, sich der Rolle einer Assoziation bewusst zu werden.
Was wäre Ihr Ziel, wenn Sie im ASP-Vorstand sitzen würden?
Vielleicht wäre es mir ein Anliegen, eine Kultur der psychischen Gesundheit zu fördern und Sensibilisierungsprogramme durchzuführen, was zu tun ist, wenn man bspw. ein Kind mit Selbstmordgedanken bemerkt oder wenn ein Kind einen Elternteil mit psychischen Problemen bemerkt. Ich habe den Eindruck, dass die Gesellschaft dazu neigt, Probleme zu verstecken, anstatt Lösungen oder professionelle Psychotherapeut*innen zu suchen.
Gibt es ein Projekt für die ASP, das Sie gern sehen würden?
Vielleicht ein Projekt zur Förderung der psychischen Gesundheit junger Menschen mit der Möglichkeit, den Zugang zu unterstützter und finanzierter Psychotherapie vor Ort durch ein Netzwerk von Fachleuten zu erleichtern.
Was wäre eine wünschenswerte Situation für Psychotherapeut*innen im gegebenen politischen Umfeld?
Es wäre schön, wenn die psychische Versorgung genauso offen unterstützt würde wie andere Formen der Gesundheitsfürsorge, um Stigmatisierung und Scham ein für alle Mal zu überwinden. Dabei scheint es mir, dass die neuen Generationen tatsächlich eher bereit sind, Probleme offen und ohne Zögern aktiv anzusprechen.
Was ist Ihre Vision für den Berufsalltag?
Ich wünsche mir, dass es einfach ist, die richtige Fachperson für die eigenen Probleme zu finden, und dass es nicht nur eine geförderte Orientierung gibt, sondern dass mehrere Orientierungen nebeneinander bestehen. Grössere Fluidität und Sensibilität: Manchmal habe ich den Eindruck, dass die pathologische Störung als Eintritt in einen endlosen Albtraum erlebt wird. Ich glaube vielmehr, dass es möglich ist, sich durch eine gute Psychotherapie von seiner Pathologie zu erholen. Ich würde mir wünschen, dass diese Erfahrung unter meinen Kolleg*innen verbreitet wird und dass die Zeit vor und nach der Therapie einen wichtigen evolutionären Übergang im Leben eines Menschen in Richtung Wohlbefinden darstellt.
Das Interview wurde von Peter Schulthess schriftlich geführt.
Mara Foppoli ist ASP-Psychotherapeutin, Gestalttherapeutin, EMDR-Therapeutin, Gestalt-Spiel-Therapeutin und 12 Meditationen-Botschafterin. Sie ist ASP-Mitglied seit 2014 und selbstständig als Psychotherapeutin tätig.
E-Mail: marafoppoli@gmail.com