Hürdenreiche Einführung des Anordnungsmodells

Eine Rückschau

Marianne Roth

à jour! Psychotherapie-Berufsentwicklung 8 (16) 2022 22–24

https://doi.org/10.30820/2504-5199-2022-2-22

Seit Jahresbeginn, nachdem sich die Nebel zur Einführung des Anordnungsmodells zu lichten begannen, haben uns eine Vielzahl an Fragen von Mitgliedern zu dessen Umsetzung erreicht, deren Beantwortung uns über Monate in Atem gehalten hat. Im Zentrum standen vorerst die Forderung nach einem annehmbaren Tarif sowie einer Tarifstruktur, die die tatsächlichen Leistungen, die von einer Psychotherapeutin oder eines Psychotherapeuten erbracht werden, abbildet. Diese mussten im Auftrag des Bundesrats zwischen den Psy- und den Versichererverbänden ausgehandelt werden.

Gescheiterte Tarifverhandlungen

Schon bald zeichnete sich ab, dass diese Verhandlungen zäh und langwierig sein würden. Trotzdem schienen eine schrittweise Annäherung und eine Einigung auf einen Tarif möglich. Doch es kam anders. Völlig unerwartet und ohne Vorankündigung informierte der eine Tarifpartner, tarifsuisse, die Psy-Verbände, dass sie zusammen mit der CSS in allen Kantonen beantragt hätten, noch vor dem 1. Juli 2022 einen sogenannten Arbeitstarif festzusetzen. Wir mussten feststellen, dass die mühsam erarbeitete Tarifstruktur, auf die sich die Tarifpartner nach 14 Monaten Verhandlungen geeinigt hatten, in dem von tarifsuisse und der CSS gestellten Antrag nicht berücksichtigt wurde. Stattdessen lehnte sich der Antrag der beiden Einkaufsgemeinschaften stark an die Tarifpositionen und Taxpunktwerte der delegierten Psychotherapie im Tarmed an, was für uns inakzeptabel war. Es war nicht einleuchtend und total unlogisch, dass der Aufwand für selbstständig erwerbende Psychotherapeut*innen gleich sein sollte wie für solche in Anstellung. Mit grosser Genugtuung konnten wir schliesslich erreichen, dass die Kantone, die den Übergangstarif festsetzen mussten, unserem Vorschlag gefolgt sind und schliesslich alle Kantone unserer Lösung zugestimmt haben.

Klärung des Themas Zusatzversicherung

Zunächst war nicht klar, in welche Richtung die Zusatzversicherung sich entwickeln würde, da vonseiten der Versicherer keine klaren Antworten zu vernehmen waren. Nach dem Einführungsdatum für das Anordnungsmodell vom 1. Juli stellte sich rasch heraus, dass mit der Möglichkeit, Therapien über die Grundversicherung abrechnen zu können, die Zusatzversicherung in den Hintergrund rückte. Wir lancierten noch im Juli 2022 eine Umfrage bei 45 Krankenkassen und erhielten immerhin von gut der Hälfte eine Rückmeldung. Diese verschafften kein eindeutiges Bild, auch wenn ein Teil von ihnen sich auf Art. 44 KVG zum Tarifschutz abstützten. Nach diesem Artikel müssen die Leistungserbringer sich an die vertraglich oder behördlich festgelegten Tarife und Preise halten und dürfen für Leistungen nach diesem Gesetz keine weitergehenden Vergütungen berechnen. Sollte der Psychotherapeut oder die Psychotherapeutin Leistungen nicht nach diesem Gesetz erbringen wollen, müsse dies der von der jeweiligen Kantonsregierung bezeichneten Stelle gemeldet werden. Es gebe in diesem Fall keinen Anspruch auf Vergütung nach diesem Gesetz.

Eine zweite Umfrage, die wir Anfang September durchführten, bestätigte die nach Art. 44 KVG festgelegte Abrechnungsweise. Danach darf eine Zusatzversicherung nur Leistungen in Ergänzung zur Grundversicherung übernehmen. Ist die Bezahlung einer Behandlung aus der Grundversicherung vorgesehen, geht diese immer vor. Es sind die Psychotherapeut*innen, die verpflichtet sind, ihre Klient*innen und Patient*innen entsprechend zu informieren.

Delegierte Psychotherapie

Grosse Verunsicherung löste die Regelung aus, dass delegierte Psychotherapeut*innen, die in einem Angestelltenverhältnis arbeiten, nur noch bis 31. Dezember 2022 zugelassen sind. Danach müssen sie ihre Leistungen selbstständig erbringen. Delegierte Psychotherapie war von Anfang an als Übergangslösung gedacht, bis zugelassene Psychotherapeut*innen ihre Leistungen in eigener fachlicher Verantwortung würden erbringen können. Die kurze Übergangszeit von sechs Monaten seit dem Modellwechsel, liess den betroffenen Psychotherapeut*innen und deren Arbeitgeber*innen nur wenig Zeit, sich neu zu organisieren.

Fragen zur Anordnung

Art. 11b KLV legt fest, dass Psychotherapeut*innen und Organisationen der psychologischen Psychotherapie Leistungen auf ärztliche Anordnung erbringen können. Die Anordnung erfolgt von einem Arzt oder einer Ärztin mit einem eidgenössischen oder einem anerkannten ausländischen Weiterbildungstitel in Allgemeiner Innerer Medizin, in Psychiatrie und Psychotherapie, in Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie oder in Kinder- und Jugendmedizin oder von einem Arzt oder einer Ärztin mit dem interdisziplinären Schwerpunkt Psychosomatische und Psychosoziale Medizin der Schweiz (Akademie für Psychosomatische und psychosoziale Medizin). Leistungen zur Krisenintervention können von allen Ärzt*innen angeordnet werden.

Es dauerte seine Zeit, bis allen involvierten Akteuren der genaue Ablauf einer Anordnung klar war. Obwohl die medizinischen Fachverbände ihre Mitglieder hätten informieren müssen, wurden wir immer wieder von Arztpraxen nach dem Anordnungsformular gefragt. Scheinbar wurde die für Anordnungen zuständige Ärzteschaft nur zögerlich über das neue Verfahren informiert. Auch wenn wir Psy-Verbände mit Mitteilungen, FAQ und Informationsveranstaltungen versuchten, die Mitglieder über den Sachverhalt zu informieren, schien die Umstellung die bisherigen Vorgehensweisen nur allmählich abzulösen.

Kantonale Zulassungsbewilligung

Mit der Einführung des Anordnungsmodells delegierte der Bundesrat dessen Umsetzung an die kantonalen Gesundheitsdirektionen (GD). Die Abrechnung über die Obligatorische Krankenpflegeversicherung (OKP), im Volksmund Grundversicherung, machte ein Zulassungsverfahren notwendig, da alle Psychotherapeut*innen deklarieren mussten, dass sie sich dieser Möglichkeit, über die OKP abrechnen zu können, anschliessen wollten. Dies sorgte für einige Verwirrung, da viele Personen die Zulassungs- mit der Berufsausübungsbewilligung verwechselten.

Bezüglich Zulassungsbewilligung, die sich je nach Kanton unterscheiden konnte, gingen auch zu diesem Thema bei uns unzählige Anfragen ein. Das umfangreiche Formular enthält nicht wenige Unklarheiten. Insbesondere der Abschnitt zu den Fragen nach den vorhandenen Qualitätsanforderungen löste grosse Unsicherheit aus. Die Qualitätsanforderungen basieren auf Art. 58a des KVG «Massnahmen der Leistungserbringer und der Versicherer zur Qualitätsentwicklung». Dieser Artikel verlangt, dass die Tarifpartner – Verbände der Leistungserbringer und der Versicherer – Verträge über die Qualitätssicherung und -entwicklung vereinbaren müssen. Davon betroffen sind nicht nur die Psy-Verbände, sondern seit diesem Jahr die Verbände sämtlicher Gesundheitsbereiche in unserem Land. In unserem Fall kann ein solcher Vertrag erst ausgehandelt werden, wenn der neue Tarif fertig verhandelt und vom Bundesrat genehmigt ist. Das heisst, es waren noch keine Massnahmen zur Qualitätssicherung und -entwicklung definiert, die wir von den Mitgliedern hätten fordern können. Einige Kantone akzeptierten immerhin vorläufig unsere Standesregeln und das Reglement zur Qualitätssicherung, die unsere Mitglieder befolgen müssen.

Abrechnungen

Zusätzlich zur Zulassungsbewilligung mussten sich die Psychotherapeut*innen, die OKP-pflichtige Abrechnungen tätigen wollten, eine Zahlstellenregister-Nummer (ZRS-Nr.) beantragen, die die Abrechnungen mit den Krankenkassen vereinfacht. Da die Zuteilung der ZSR-Nr. sehr lange dauerte, konnten Abrechnungen immerhin rückwirkend bis 1. Juli 2022 gemacht werden. Wichtig ist, dass nur abrechnungsberechtigte selbstständig erwerbende Psychotherapeut*innen über eine ZSR-Nr. verfügen dürfen, nicht aber Personen in Weiterbildung (siehe dazu den Artikel in diesem Heft), die in einer Psychotherapiepraxis angestellt sind.

Bereits zu Beginn der Umstellung auf das Anordnungsmodell bot die Ärztekasse einen Browser an, der alle Tarifpositionen enthält und mit dem bequem online alle Belange einer Psychotherapie erfasst werden können. Wir gingen auch eine Kooperation mit PsyFile ein, die ebenfalls ein komplettes digitales Angebot aufgeschaltet haben. Beide Angebote sind für unsere Mitglieder mit Sonderkonditionen verbunden. Für Personen, die ihre Abrechnungen nicht online durchführen möchten, haben wir ein Rechnungsformular bereitgestellt. Es ist jedoch wichtig darauf hinzuweisen, dass über kurz oder lang elektronische Übermittlungen von Abrechnungen obligatorisch werden. Der Bundesrat hat noch im Sommer angekündigt, im Rahmen von Kostendämpfungsmassnahmen sämtliche Leistungserbringer im stationären und ambulanten Bereich dazu zu verpflichten, ihr Rechnungen künftig in elektronischer Form zu übermitteln. Da die Ausgestaltung der elektronischen Übermittlung an die Tarifpartner übertragen wird, steht uns wohl ein weiterer Verhandlungsmarathon bevor.

Marianne Roth ist Geschäftsführerin der ASP.