Maria Zimmermann (2023): Anders, nicht falsch

Kommode, ISBN: 978-3-905574-97-5, 222 Seiten, 29.60 CHF, 25.– EUR

à jour! Psychotherapie-Berufsentwicklung 9 (17) 2023 30–31

https://doi.org/10.30820/2504-5199-2023-1-30

Maria Zimmermann beschreibt in diesem Buch ihr Leben im autistischen Spektrum. Seit Kindheit hat sie wiederkehrend das Gefühl gehabt, «falsch» zu sein. Ihre Psychotherapeutin hat sie im Alter von 29 Jahren darauf gebracht, sich mit dem Thema Autismus zu befassen und eine entsprechende Abklärung zu machen. Die Erkenntnis, dass sie im autistischen Spektrum lebt und erlebt, und deswegen anders ist, war für sie entlastend und gab den Anstoss zum Buchtitel. Menschen im autistischen Spektrum sind anders, nicht falsch.

In berührend persönlicher Weise beschreibt die Autorin, was bei Menschen im autistischen Spektrum eben anders ist als bei neurotypischen Menschen. Als einfache Definition beschreibt sie Autismus als «ein anderes Wahrnehmen und Begreifen und Kommunizieren mit der Welt». Autismus sieht sie nicht als absolute Kategorie, sondern in einem Spektrum, in dem verschiedene autistische Daseinsformen vorkommen. Und sie sieht Menschen im autistischen Spektrum nicht als krank oder gestört, wie dies psychiatrische Diagnostik-Manuale festlegen wollen, sondern als anders in einem unendlichen Spektrum der Formen des Menschseins. Sie verweist auf die Theorie der Neurodiversität, wonach neurobiologische Unterschiede als menschliche Varianten angesehen und respektiert werden wollen. Atypische neurologische Entwicklungen sollen als natürliches Spektrum menschlicher Daseinsformen gelten.

Einleitend beschreibt die Autorin die Merkmale des Autismus: Enthusiasmen (intensive Faszination für bestimmte Themen), sensorische Sensibilität gegenüber Reizen, motorische Eigenheiten wie Ungeschicklichkeiten, ungewöhnliche kognitive Fähigkeiten, bemerkenswerte Sprachfähigkeiten, anderer Zugang zu einem sozialen Verständnis und ein komplizierter Zugang zur Kommunikation und der Kontrolle von Gefühlen.

Das Buch ist in elf Kapitel gegliedert, die diese Merkmale anschaulich vertiefen anhand des eigenen Erlebens. Deutlich wird, wie sehr sich Menschen im autistischen Spektrum anstrengen müssen, sich anzupassen an das Verhalten und die Normen neurotypischer Menschen, um nicht permanent ausgesondert und als falsch beurteilt zu werden, da sie oft in ihrer Andersheit verkannt werden (auch von TherapeutInnen). Sie versuchen mit grossem Kraftaufwand zu lernen, so zu sein wie die anderen, und entwickeln dabei grosse schauspielerische Fähigkeiten, nur um nicht gänzlich ausgeschlossen zu werden. Der Preis ist, dass sie sich dabei von sich selbst entfremden und dabei so sehr verausgaben, dass sie in Erschöpfungszustände geraten können, deren Ursachen oft verkannt und als Depression behandelt werden.

Es gelingt der Autorin, in gut verständlicher Weise Wissen über Menschen im autistischen Spektrum zu vermitteln und mit der eigenen Erfahrung zu verbinden. So ist ein Sachbuch entstanden, das dazu geeignet ist, über das andersartige Erleben aufzuklären und für mehr Toleranz gegenüber der Diversität verschiedener Daseins- und Erlebensformen zu plädieren. Das Buch ist mehrfarbig gestaltet und von der Autorin selbst illustriert worden mit Zeichnung, die die besprochenen Themen auf gelungene Weise veranschaulichen. Insgesamt ist so ein Kunstwerk entstanden, das zeigt, welche Kreativität und Sprachbegabung in Menschen im autistischen Spektrum stecken können.

Ich empfehle es gern auch PsychotherapeutInnen zur Annäherung an und Einführung in die Autismus-Thematik.

Peter Schulthess