Peter Schulthess
à jour! Psychotherapie-Berufsentwicklung 9 (18) 2023 22–24
https://doi.org/10.30820/2504-5199-2023-2-22
Weiterbildungsgänge, deren Abschluss zum Titel eines eidgenössisch anerkannten Psychotherapeuten führt, müssen vom EDI (Eidgenössisches Departement des Innern) akkreditiert werden. Die AAQ (Schweizerische Agentur für Akkreditierung und Qualitätssicherung) führt diese Akkreditierungen im Auftrag des Bundes durch. Der Prozess verläuft so, dass der Anbieter eines Weiterbildungsgangs (die Verantwortliche Organisation; VO) anhand eines vorgegebenen Kriterienkatalogs, der sich auf das PsyG (Psychologieberufegesetz) stützt, einen Selbstevaluationsbericht (SE) beim BAG einreicht, das diesen formal durchsieht und, falls für ausreichend befunden, der AAQ zur Auslösung des Akkreditierungsverfahrens weiterleitet. Diese bestellt in Absprache mit der VO ein Team von drei Gutachtern, die sich anhand des SE vorbereiten und im Rahmen einer Vorortvisite mittels Gesprächen mit der Institutsleitung, den Lehrenden, den Lernenden und AbsolventInnen ein Bild über den Weiterbildungsgang machen und dann eine Empfehlung an die AAQ abgeben, ob die Gutachter eine Akkreditierung befürworten oder nicht und bei welchen Standards allenfalls Auflagen gemacht werden sollen. Die AAQ nimmt zum Gutachterbericht Stellung und stellt ihrerseits einen (allenfalls abweichenden) Antrag auf Akkreditierung oder Nicht-Akkreditierung zu Händen des EDI. Dieses entscheidet schlussendlich. Vor dem Entscheid des EDI wird der Bericht noch zur Anhörung der PsyKo (Psychologieberufekommission) zugestellt, die aber nur ihre Meinung abgeben und keine Anträge stellen kann.
Gemäss PsyG gilt eine Akkreditierung befristet für sieben Jahre und muss immer wieder erneuert werden (Reakkreditierung). Das Verfahren bei einer Reakkreditierung ist jedoch dasselbe wie bei einer Neuakkreditierung.
Erste Akkreditierungsrunde
Im Rahmen einer vom BAG durchgeführten Evaluation der ersten Akkreditierungsrunde wurden die verantwortlichen Organisationen der überprüften Programme eingeladen, sich zu den Erfahrungen zu äussern. Die ASP monierte, dass die Gutachterteams uneinheitliche Kriterien verwenden, um etwa zu beurteilen, ob ein vermitteltes Psychotherapiemodell ausreichend wissenschaftlich fundiert sei. Es zeigte sich zudem, dass die Gutachtergruppen teils unausgewogen zusammengesetzt waren (Übervertretung der Hochschuldozenten bzw. Repräsentanten von an Hochschulen angebotenen Weiterbildungsgängen und damit der Verhaltenstherapie; VT). Je nach Zusammensetzung einer Expertengruppe konnte man also Glück haben oder Pech. Das ist in einem Akkreditierungsverfahren mit grossen ökonomischen Konsequenzen für die Betroffenen eine nicht akzeptable Ungleichbehandlung. Man durfte erwarten, dass dies im Hinblick auf die zweite Akkreditierungsrunde, die 2023 angelaufen ist, besser würde. Die AAQ reduzierte die Grösse des Kreises der Gutachter und setzt somit vermehrt dieselben Personen ein, die angeblich besser auf ihre Aufgabe vorbereitet würden und so durch deren zunehmende Erfahrung eine einheitlichere Interpretation der Beurteilungskriterien erreicht würde.
Zweite Akkreditierungsrunde
Nun sind erste Erfahrungen mit der angelaufenen zweiten Akkreditierungsrunde gesammelt worden. Sie lassen darauf schliessen, dass sich das Verfahren qualitativ nicht verbessert hat. Durch die Übervertretung von Hochschulprofessoren, die oft der VT zugetan sind, ergeben sich Einflussnahmen eines bestimmten Wissenschafts- und Forschungsverständnisses und einer bestimmten Art, wie Weiterbildung zu betreiben sei bis hin zur Ausgestaltung der Supervision, die nach den an ihren Hochschulen praktizierten Art und Weise über alle therapeutischen Verfahren hinweg als quasi «Gold Standard» zu gelten hat, dies ohne wissenschaftliche Grundlage. Das dürfte in Konflikt mit dem Verfassungsgrundsatz der Rechtsgleichheit und mit der Wettbewerbsneutralität stehen. Tiefenpsychologische und humanistische Weiterbildungsgänge haben bei solcher Zusammensetzung der Gutachterteams die schlechteren Karten.
In den mir bekannten Verfahren haben die Gutachter und auch die Vertreterin der AAQ in keiner Weise auf die Erstakkreditierungsberichte und die dort erfüllten Auflagen Bezug genommen. Die zweite Akkreditierung wird so vorgenommen, als wäre es eine Erstakkreditierung und nicht eine Reakkreditierung eines bereits einmal akkreditierten Weiterbildungsgangs. In zwei Fällen ist mir bekannt, dass die neue Gutachtergruppe zum Schluss kam, dass die Programme die Erreichung der Ziele des PsyG nicht gewährleisten würden, obwohl deren Qualität in der Zwischenzeit weiterentwickelt wurde.
Offenbar hat das BAG die Experten instruiert, die Beurteilungen der Erstakkreditierung nicht zu berücksichtigen, da sich einige Standards geändert hätten. Dies ist m. E. eine unzulässige Einmischung in das Akkreditierungsverfahren, das unter der Verantwortung der AAQ steht (fehlende Gewaltentrennung), und verletzt die üblichen Qualitätsstandards für Reakkreditierungsverfahren.
Fragwürdige Beurteilungen
Wie kann das sein, dass einem Programm in der Erstakkreditierung attestiert wurde, dass es die Ziele des PsyG erreicht, und sieben Jahre später beurteilt eine neue Expertengruppe, dass dies bei weitem nicht der Fall sei, ohne sich mit den Beurteilungen in der Erstakkreditierung und der entstandenen Beurteilungsdifferenz auseinandergesetzt zu haben? Es muss ja schon was Schlimmes vorgefallen sein, dass in der Reakkreditierung der ursprünglichen Akkreditierung widersprochen werden muss. Es müsste begründet werden, inwieweit sich seither die Qualität verschlechtert hat. Eine von der ersten Akkreditierung so fundamental abweichende Beurteilung bedeutet eine Disqualifizierung der vorangegangenen Expertengruppe, indem die neue Gruppe eine eigene, neue Interpretation der Standards über die andere setzt. Das ist nicht seriös!
Ein Textvergleich der mir vorliegenden Gutachterberichte hat im Übrigen zutage gebracht, dass zur Begründung des Nichterfüllens mehrerer Standards die identische Begründung (nach dem System Copy-paste) gegeben wurde. Das lässt darauf schliessen, dass nicht die Vorsitzenden der Gutachtergruppe diese Berichte verfassen, wie dies eigentlich vorgegeben ist, sondern die zuständige Person der AAQ, die an beiden Verfahren beteiligt war, denn nur diese kennt beide Akkreditierungsverfahren und hat die Möglichkeit, mit Copy-paste zu arbeiten. Das nährt Zweifel an der Seriosität der Arbeit der AAQ. Solches entdeckte ich bereits in der ersten Akkreditierungsrunde, wo gar vergessen wurde, im kopierten Textblock wenigstens den Namen des entsprechenden Programms anzupassen! Als ich das damals monierte, entschuldigte man sich und begründete es mit Zeitdruck.
Wie kann es sein, dass eine Agentur für (Re-)Akkreditierung und Qualitätssicherung solches arbeiten einer Gutachtergruppe zulässt? Qualitätssicherung bedeutet doch auch Qualitätsentwicklung, wie die AAQ auf ihrer Website zu Recht für sich in Anspruch nimmt. Doch um die Entwicklung der Qualität in einem Programm zu beurteilen, ist es unabdinglich, vom Stand der ersten Akkreditierung auszugehen und so die Weiterentwicklung zu beurteilen. Nur so kann beurteilt werden, ob die Qualität eines Weiterbildungsgangs sich verbessert oder verschlechtert hat. Dies nicht zu tun, widerspricht den internationalen Standards eines Reakkreditierungsverfahrens. Das darf nicht unwidersprochen bleiben!
Kritische Weiterbeobachtung nötig
Ich werde den Fortgang der laufenden Akkreditierungsverfahren weiter kritisch verfolgen und bitte alle verantwortlichen Organisationen, mir ihre Selbstevaluationsberichte, die Gutachterberichte, Berichte der AAQ, Stellungnahmen der PsyKo, Entscheide des EDI und ihre jeweiligen Stellungnahmen dazu jeweils zuzustellen. Ich werde diese vertraulich behandeln, aber vergleichen und evaluieren im Hinblick auf die rechtsgleiche Behandlung und Einhaltung von Qualitätsgrundsätzen in Akkreditierungsverfahren. Durch die je einzeln durchgeführte Akkreditierung jedes einzelnen Weiterbildungsgangs hat sich das BAG in Abstimmung mit der AAQ eine Situation des «Divide et impera» geschaffen. Es darf aber keine Willkür geduldet werden in der Beurteilung der Weiterbildungsgänge in ihrer Struktur und Qualität und keinen Machtmissbrauch von Gutachtern zugunsten ihres eigenen Weiterbildungsgangs. Die Wettbewerbssituation unter den Weiterbildungsgängen hat sich seit der Einführung des Anordnungsmodells verschärft und das mag beim einen oder anderen Gutachter die Hemmung zum Machtmissbrauch senken. Diese Dynamik, kennt man ja zu Genüge aus Deutschland. Umso mehr ist es wichtig, dass die nichtuniversitären Weiterbildungsanbieter untereinander transparent sind, damit sie gemeinsam das ganze Reakkreditierungsverfahren rechtlich beurteilen lassen und ggf. gemeinsam dagegen vorgehen können.
Peter Schulthess ist Vorstandsmitglied der ASP und zuständig für deren Weiterbildungsgänge.