EKKJ verlangt Förderung der psychischen Gesundheit Jugendlicher

Marianne Roth

à jour! Psychotherapie-Berufsentwicklung 10 (19) 2024 20–21

https://doi.org/10.30820/2504-5199-2024-1-20

In einem lesenswerten Positionspapier1 nimmt die Eidgenössische Kommission für Kinder- und Jugendfragen (EKKJ) Bezug auf psychische Probleme bei Kindern und Jugendlichen, was aktuell die häufigste gesundheitliche Herausforderung darstellt. Zahlreiche Quellen und Studien bestätigen diesen Befund. So berichtet eine Studie der UNICEF2, dass 37 % der 14–19-Jährigen in der Schweiz und Liechtenstein von psychischen Problemen betroffen sind. 8 % hätten versucht, sich das Leben zu nehmen, und 29,1 % würden mit niemandem über ihre Probleme sprechen. Begründet wird dies von den Jugendlichen mit schlechten Kindheitserfahrungen (89%), Belästigung und Mobbing in der Schule (44,4 %), sich schutzlos und ungeliebt zu fühlen (28,4 %), verbale Erniedrigung (25,2 %) oder Diskriminierungserfahrungen aufgrund der sexuellen Orientierung (12,9 %).

Das Positionspapier verweist auf die Tatsache, dass die psychische Belastung bei Jugendlichen immer noch höher ist als vor der COVID-19-Pandemie. Bemerkenswert ist dabei, dass sie bei jungen Frauen mit 36 % viel stärker ausgeprägt ist als bei jungen Männern mit 15 %. Die EKKJ kommt zum Schluss, dass es sich bei jungen Menschen um eine besonders vulnerable Gruppe handelt und dringender Handlungsbedarf besteht, um deren psychische Gesundheit zu fördern und zu schützen. Das ausführliche Literaturverzeichnis im Anhang des Dokuments liefert eine beeindruckende Evidenz dieses Befundes.

Krasse Unterversorgung

In Bezug auf die Unterstützung von jungen Menschen mit psychischen Problemen herrscht eine Versorgungslücke, die gegenüber dem Bedarf eine markante Diskrepanz darstellt. Nicht zuletzt ist diese darauf zurückzuführen, dass der Fokus in der Versorgung in der Regel auf einem Vollbild psychischer Störungen liegt und subklinischen psychischen Problemen zu wenig Beachtung geschenkt wird, obwohl hier mit griffigen Massnahmen präventiv und erfolgversprechend vorgegangen werden sollte. Aus diesem Grund und aufgrund der Unterversorgung nehmen zahlreiche Jugendliche keine Hilfe in Anspruch. Vermutungen gehen von 375.000 Personen aus, die trotz psychischer Probleme keine Hilfe suchen. Nicht zuletzt spielen soziale Normen zur Hilfesuche eine Rolle, was dazu führt, dass junge Frauen häufiger Hilfe in Anspruch nehmen als junge Männer.

Die EKKJ unterscheidet zwischen verschiedenen Ansprechpersonen und Quellen, bei denen Hilfe gesucht wird. Formelle Unterstützung bieten Fachpersonen, z. B. Psycholog*in, Psychiater*in, Ärzt*in, semi-formelle Unterstützung Fachpersonen ohne spezifische Rolle in der psychischen Versorgung, z. B. Lehrpersonen, Schulsozialarbeiter*in, informelle Unterstützung, z. B. Freundeskreis, Partner*in, Kolleg*in und Selbsthilfe, z. B. Informationen auf einer Website, Online-Programme. All diese Stellen müssten gestärkt und ausgebaut werden.

Barrieren zur Hilfesuche

Stigmatisierung stellt für junge Menschen ein grösseres Hindernis dar als für ältere Menschen. Junge Menschen verfügen häufig auch noch nicht über die notwendige Gesundheitskompetenz und damit die Möglichkeit, psychische Probleme zu erkennen. Erwähnung findet in der Studie zudem die Problematik von Personen mit einem Migrationshintergrund, die mangels Information einen erschwerten Zugang zum Versorgungssystem haben. Einfluss kann auch der kulturelle Hintergrund haben, der psychischer Gesundheit einen anderen Stellenwert beimisst. Eine nicht zu unterschätzende Rolle spielen wirtschaftliche Gründe, weshalb eine Hilfesuche nicht in Anspruch genommen werden kann. Nicht zuletzt sind Kinder, die in Armut aufwachsen, grösserer Stigmatisierung ausgesetzt und dadurch stärker isoliert, was ihre Entwicklung und psychische Gesundheit nachhaltig beeinflussen kann. Das bedeutet, dass die sozialen Bedingungen die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen wesentlich mitbestimmen.

Weitere Barrieren sind systemischer Natur, wie bspw. eine fehlende Kostenübernahme für die Behandlung psychischer Probleme. Zudem herrscht ein akuter Fachkräftemangel im Bereich der psychischen Behandlung junger Menschen. Die EKKJ ortet das Problem indes nicht nur beim Fachkräftemangel, sondern auch darin, dass die Angebote zu wenig auf die Bedürfnisse der jugendlichen Anspruchsgruppen ausgerichtet sind. Sie empfiehlt daher den Einbezug junger Menschen zur Entwicklung und Ausgestaltung adäquater Angebote.

Empfehlungen

Die EKKJ legt einen Strauss von Massnahmen zur Verbesserung der Situation in Bezug auf die psychische Gesundheit junger Menschen vor. Neben einem langfristigen Monitoring zur Verbesserung der Datenlage schlägt sie strukturelle Massnahmen vor, z. B. die politische und gesellschaftliche Partizipation von Kindern und Jugendlichen, präventive Massnahmen zur Verhinderung von Gewalt und Diskriminierung, die Stärkung von sozialen Bindungen und Gruppenzugehörigkeit, das Angebot von Perspektiven in Zeiten von Krisen und weltweiten Herausforderungen, die Stärkung von Medienkompetenz und Unterstützung im Umgang mit sozialen Medien. Auch sollen der Leistungsdruck verringert und freies Spielen gefördert werden usw. Last but not least erfolgt eine Aufzählung von Massnahmen zur Verbesserung des Angebots im Bereich Versorgung. So soll die Kapazität ambulanter und stationärer Angebote erhöht und die Information über bestehende Unterstützungs- und Beratungsangebote verbessert werden. Ob die zwar ehrgeizigen, aber richtigen Empfehlungen auf politischer Ebene Gehör finden und deren Finanzierung gewährleistet werden kann, wird sich weisen müssen.

Marianne Roth ist ehemalige Geschäftsführerin der ASP.

1 EKKJ: Nachhaltige Förderung der psychischen Gesundheit im Kindes- und Jugendalter. Ein Positionspapier der Eidgenössischen Kommission für Kinder- und Jugendfragen. Bern, März 2024.

2 UNICEF: Psychische Gesundheit von Jugendlichen. Studie der Situation in der Schweiz und Liechtenstein. Zürich, 2021.