Christopher K. Germer & Kristin Neff (2021): Achtsames Selbstmitgefühl unterrichten. Das Handbuch für professionelle Arbeit

Arbor. ISBN: 978-3867812382. 728 Seiten, 68 EUR, 90.90 CHF

à jour! Psychotherapie-Berufsentwicklung 10 (19) 2024 26–26

https://doi.org/10.30820/2504-5199-2024-1-26

Kristin Neff, eine avantgardistische Forscherin im Themenbereich des Selbstmitgefühls, entwickelt gemeinsam mit Christopher K. Germer das Mindfulness Selfcompassion Program (MSC). Es ist das erste Trainingsprogramm, dass explizit auf eine Kultivierung von Selbstmitgefühl ausgerichtet ist.

Die akzeptierende, therapeutische Grundhaltung der Gestalttherapie «Was ist, darf sein, und was sein darf, kann sich verändern» ist vermutlich vielen in diesem oder anderem Gewand bereits einmal begegnet. Doch gerade im Umgang mit alten Verletzungen, die aus Beziehungen herrühren, gelingt es uns Menschen oftmals nicht, diese Grundhaltung zu bewahren. Traumaforscher wie Bessel van der Kolk vertreten die Ansicht, dass seelische Verletzungen entstehen, weil uns in schweren Momenten die Empathie von Bezugspersonen versagt wird. Achtsames Selbstmitgefühl geht dieses Empathieversagen direkt an der Wurzel an. Wenn ich mich dem Vokabular der systemischen Arbeit mit Anteilen (oder Egostates und weitere) bediene, dann könnte man sagen, dass mit dem Programm Ressourcenanteile innerhalb der Person aufgebaut werden. Die Übungen tragen zu einer respektvolleren und integrativeren Haltung gegenüber allen anderen Anteilen der Person mit ihren Empfindungen und Bedürfnissen bei. Sie helfen uns, den wichtigsten Verbündeten ins Boot zu holen, nämlich uns selbst.

Das verständlich geschriebene und mit Beispielen gespickte Buch ist in vier Teile gegliedert. Im ersten Teil geben die Autoren einen umfassenden Einblick ins Thema des achtsamen Selbstmitgefühls. Sie betrachten die Frage nach dem Unterschied zwischen Selbstmitgefühl und Mitgefühl gegenüber anderen Personen, was zum Selbstmitgefühl dazugehört und welche Rolle die Achtsamkeit spielt. Sie fragen nach dessen Auswirkung auf das Selbstwertgefühl und greifen abschliessend auch gesellschaftliche Vorbehalte gegenüber Selbstmitgefühl auf. Selbstverständlich wird der wissenschaftliche Hintergrund dargelegt; dies sowohl zum Selbstmitgefühl als auch zum erfolgreichen Vermitteln von Selbstmitgefühl.

Im zweiten Teil wird den Lesern über knapp 100 Seiten ein umfassender Einblick ermöglicht, wie man das Trainingsprogramm des achtsamen Selbstmitgefühls unterrichten kann: Worauf ist dabei zu achten? Welche innere Haltung ist im Kontakt unterstützend? Im dritten Teil ist über knapp 350 Seiten der Unterrichtsplan des Programms inklusive zahlreicher, detaillierter Übungsanleitungen enthalten. Die Übungen können isoliert sowohl im therapeutischen Einzel- oder Gruppensetting eingesetzt werden als auch als Selbsterfahrungsübungen im Unterricht. Der vierte Teil widmet sich der Integration des Selbstmitgefühls in der Psychotherapie.

Das Buch ist reichhaltig, inhaltlich klar strukturiert und voller Übungen für den Werkzeugkoffer von Psychotherapeut*innen und Dozent*innen.

Nathalie Jung