Nachruf auf Ernst Spengler

Mario Schlegel & Peter Schulthess

à jour! Psychotherapie-Berufsentwicklung 10 (20) 2024 15–16

https://doi.org/10.30820/2504-5199-2024-2-15

Ernst Spengler ist am 15. September im Alter von 89 Jahren nach kurzer Krankheit verstorben. Die Schweizer PsychotherapeutInnen haben ihm viel zu verdanken, gehörte er doch zu den Gründungsmitgliedern des ersten Psychotherapeuten-Verbandes (SPV) der Schweiz.

Bereits 1979 erkannten er und seine MitstreiterInnen die Notwendigkeit eines Berufsstandes, der die Interessen der PsychotherapeutInnen vertreten musste, waren sie bis anhin völlig unorganisiert, erhielten von den Krankenkassen keine Vergütungen und standen der wohlorganisierten und mächtigen Ärzteschaft gegenüber. Es gab bei Gründung des SPV eine Absprache mit der SGP, dass der SPV die Psychotherapie vertreten würde, während die FSP die Psychologie vertreten solle. Diese Absprache wurde später seitens der FSP gebrochen, sodass auf dem Gebiet der Psychotherapie eine Konkurrenzsituation entstand. Die FSP stand für eine Psychotherapie als psychologischem Beruf ein, während der SPV für eine Psychotherapie als selbstständigem wissenschaftlichen Beruf einstand.

Mit dem SPV entstand erstmals ein Ansprechpartner für die Krankenkassen, was dazu führte, dass die «Krankenfürsorge Winterthur» einen Versuch mit einer teilweisen Entschädigung von Psychotherapien aus der Grundversicherung machte. Andere Kassen übernahmen das Modell. Diese Möglichkeit entfiel ab Inkrafttreten des neuen KVG. Als es anfangs der 1990er darum ging, die Psychotherapie als Pflichtleistung der Krankenkassen einzuführen, begannen die grossen Konflikte, weil die Universitäten diesen Markt für die PsychologInnen reklamierten und TherapeutInnen ohne Psychologiestudium nicht zulassen wollten. Die Verhandlungen konnten erst weitergeführt werden, nachdem das PsyG in Kraft trat, das die Psychotherapie in der Schweiz als psychologischen Beruf regelte. Der SPV konnte die Politik nicht davon überzeugen, dass es zwei Gesetze bräuchte, eines für die Psychotherapie als eigenen Beruf und eines für die Psychologie.

Ernst Spengler war in den Verhandlungen zusammen mit dem Gründungspräsidenten Heinrich Balmer mit den Behörden und dem PsychologInnenverband in leitender Position. Als Herkulesaufgabe ging es zuerst um alle kantonalen Verordnungen, die auf ihre Gesetzeskonformität überprüft werden mussten und gegen die oft gerichtlich rekurriert werden musste. Ausserdem erwirkten die beiden ein Bundesgerichtsurteil, in dem bestätigt wurde, dass die Psychotherapie eine eigenständige wissenschaftliche Disziplin darstellt. Weil es in der Schweiz keine Verfassungsgerichtsbarkeit gibt, konnte dieses Urteil in der berufspolitischen Praxis nicht umgesetzt werden. Dafür wurde dies zur Gründungsidee der Europäischen Gesellschaft für Psychotherapie (EAP). Ernst Spengler präsidierte diese ein Jahr und schrieb ihre Statuten.

Von 1979 bis 1990 war Ernst Spengler Vizepräsident des SPV und anschliessend 2 Jahre ihr Präsident. In all diesen Aufgaben war er ein absoluter, gut vernetzter, sehr eloquenter Profi mit politischer Erfahrung als Präsident einer Zürcher Kreispartei der FDP und mit publizistischer Erfahrung als Redaktor der NZZ. Ohne ihn wäre der SPV nicht zu dem geworden, was er war: ein profilierter und kämpferischer Berufsverband für die Sache der Psychotherapie als eigenständigem wissenschaftlichen Beruf, der auch den Rechtsweg nicht scheute.

Ernst Spengler war aber auch wissenschaftlich aktiv und war Dozent, Lehranalytiker und Supervisor am C. G. Jung-Institut. Eines seiner Bücher, in dem er viel über seine berufspolitischen Erfahrungen für die Psychotherapie schildert und sein kritischer Geist sichtbar wird, ist 2001 im Daimon-Verlag erschienen: Psychotherapie und das Bild vom Menschen. Ontologie, Erkenntnistheorie und wissenschaftliche «Objektivität».

Nicht zuletzt war er für mich (Mario Schlegel) auch ein guter, humorvoller und zuverlässiger Kollege.

Ich (Peter Schulthess) bin dankbar, dass ich ihn in fortgeschrittenem Alter im November 2023 aus Anlass einer Besprechung einer seiner Publikationen für das à jour! noch einmal treffen konnte und mehr über die private Seite des engagierten Berufspolitikers erfahren durfte. Sein wacher Geist und sein breiter Interessenshorizont bleiben mir in guter Erinnerung.

Wer sich ein näheres Bild über den Verstorbenen machen möchte, kann seine Website besuchen: https://ernstspengler.ch

Mario Schlegel ist eidg. anerkannter Psychotherapeut und ehemaliges Mitglied der ASP, deren Charta-Wissenschaftskommission er lange Jahre führte. Er kannte Ernst Spengler vom C. G. Jung-Institut, dem er auch angehörte und wo er immer noch lehrt. Kurz nach der Gründung des SPV trat er diesem bei und wirkt bis heute aktiv im Verband, derzeit noch als Redaktor der Psychotherapie-Wissenschaft.

Peter Schulthess ist eidg. anerkannter Psychotherapeut (ASP), leitender Redaktor des à jour! – Psychotherapie Berufsentwicklung, der Psychotherapie-Wissenschaft und ehemaliger Präsident der Schweizer Charta für Psychotherapie. Er lernte Ernst Spengler als Vizepräsidenten des SPV ca. 2 Jahre nach der Vereinsgründung kennen und konnte so sein Wirken all die Jahre verfolgen.