Marianne Roth
https://doi.org/10.30820/2504-5119-2020-1-19
Was Was von Psychotherapeut*innen seit Jahrzehnten eingefordert wurde, steht nun möglicherweise vor der Vollendung: die Ablösung vom Delegations- zum Anordnungsmodell. Als Berufsverband ist es uns wichtig, dass die Neuregelung der Psychotherapie jetzt endlich eingeführt wird, auch wenn wir uns auf Kompromisse werden einlassen müssen. Unseres Erachtens geht es auch um die Glaubwürdigkeit des Bundesrats, da mit der Einführung des Psychologieberufegesetzes (PsyG) das Versprechen abgegeben wurde, den Modellwechsel zu vollziehen. Sollte dieser vom Bundesrat jedoch abgelehnt werden, sähen wir uns gezwungen, in die Offensive zu gehen und eine Volksinitiative ins Auge zu fassen. Denn wir sind nicht bereit, diese historische Chance aus den Händen zu geben.
Inzwischen sind alle Stellungnahmen zur bundesrätlichen Vernehmlassung auf der Website einsehbar. Wir stellen mit Genugtuung fest, dass der Modellwechsel viel Zuspruch erhält, auch wenn einige wichtige Organisationen das Vorhaben ablehnen oder mit teilweise völlig überrissener Kritik infrage gestellt haben. Die häufigsten Kritikpunkte drehen sich um die meist spekulativ dargestellte Mengenausweitung, die Anzahl Jahre klinischer Praxis und die Frage der Anordnungsbefugnis.
Übergabe der gesammelten Unterschriften an den Bundesrat zur Unterstützung des Anordnungsmodells
Kompromisse sind unumgänglich
Unsere Kompromissbereitschaft haben wir bereits in der letzten Ausgabe des à jour! (12/2019) zum Ausdruck gebracht. So könnten wir mit einem Zusatzjahr klinischer Praxis leben, das aber innerhalb der Weiterbildung stattfinden sollte, sofern es mit dem PsyG im Einklang steht. Anders als von gewissen Stakeholdern gefordert, setzen wir uns dafür ein, dass nicht nur Fachärzt*innen für Psychiatrie Psychotherapiebehandlungen anordnen dürfen, sondern auch Hausärzt*innen, damit Patient*innen ein niederschwelliger Zugang ermöglicht wird. Die Kostenfrage beschäftigt auch die Versichernden, die von einer Kostensteigerung ausgehen, die nicht realistisch ist. Santésuisse bringt dabei die Summe von einer halben Milliarde Franken ins Spiel. Dass mit einem Modellwechsel Mehrkosten entstehen, ist logisch. Was im Übrigen nie erwähnt wird, ist die Tatsache, dass mit einer frühen psychotherapeutischen Behandlung spätere schwere Erkrankungen vermieden werden können, was nicht nur für die Gesundheitskosten, sondern auch volkswirtschaftlich massive Einsparungen bewirkt.
Es ist nachvollziehbar, dass das Aufbrechen von eingespielten Arbeitsabläufen Widerstand und Ablehnung auslöst, was bei einem Change-Prozess immer der Fall ist. Dass mit der Einführung des PsyG ein lange versprochener Modellwechsel unaufhaltsam geworden ist, sollte jedoch allen involvierten Kreisen klar sein. Denn es müssen Versorgungslücken geschlossen werden, was mit dem herkömmlichen System nicht mehr zu leisten ist. Im Austausch mit den wichtigsten Akteuren werden wir uns wohl auf Kompromisse einigen müssen, solche aber auch einfordern; wir wollen aber unsere Position so weit wie möglich verteidigen.
Blick in die Zukunft
In der Zwischenzeit haben bereits einige Treffen stattgefunden. So hat das BAG die verschiedenen Stakeholder zum Gespräch eingeladen, um möglichst eine Annäherung der unterschiedlichen Haltungen zu bewirken. Denn je einheitlicher wir auftreten können, desto mehr Chancen für die Annahme des Anordnungsmodells rechnen wir uns aus. Auch sind Gespräche mit den Versicherern im Gang, um einen künftigen Tarif für Psychotherapiebehandlungen festzulegen. Dazu wurde eine Arbeitsgruppe «Psy-Tarif» ins Leben gerufen, in der die drei Verbände sowie verschiedene Experten vertreten sind. Grundlage für die Tarifgespräche bildet von unserer Seite nach wie vor die Modellpraxis, die vor drei Jahren mit der Fachhochschule Nordwestschweiz erarbeitet wurde. Diese Modellpraxis ist aufgrund von Umfragen unter praktizierenden Psychotherapeut*innen einer realen Psychotherapiepraxis nachempfunden, indem sie sämtliche in einer Praxis entstehende Kosten berücksichtigt, inklusive Inventar, sämtlicher Betriebs- und Nebenkosten, aber auch die Entlohnung, Fortbildung und Supervision. Auf dieser Basis wurde ein Tarif berechnet, der gegenüber den Versicherern unsere Verhandlungsbasis bilden wird.
Marianne Roth ist Geschäftsleiterin der ASP.