Interview mit ASP-Mitglied Claudia Crivelli Barella

Nicola Gianinazzi

https://doi.org/10.30820/2504-5119-2020-1-28

Welche Beweggründe hatten Sie, den Beruf einer Psychotherapeutin zu wählen?

Ich denke, dass alle Psychotherapeut*innen einen Draht zu Formen des Künstlerischen haben, der sie auch dazu hätte bringen können, Musiker*in, Maler*in, Dichter*in oder etwas anderes zu sein, hätten sie diesen Weg vertieft – oder besser: dass wir auch ein bisschen künstlerische Seelen sind. In meinem Fall gab es die grundsätzliche Liebe zur Literatur, doch während meines Universitätsstudiums der italienischen Literatur in Bologna entschied ich mich, einen eher klinischen Weg einzuschlagen. Später studierte ich Pädagogik an der Katholischen Universität Mailand und bildete mich dann an der Schule für kognitive Verhaltenspsychotherapie in Como fort. Im Laufe der Jahre habe ich dann verschiedene Wege mit unterschiedlichen Ausrichtungen verfolgt.

Wie sieht Ihr beruflicher Hintergrund/Werdegang aus?

Meine Spezialisierung als Psychotherapeutin habe ich unmittelbar nach dem Studium begonnen. Ich habe mich in verschiedenen Einrichtungen des Kantons Tessin weitergebildet und 2006 die Qualifikation zur Eröffnung einer Praxis erworben (2019 nochmals). Damals war ich die jüngste Psychotherapeutin im Tessin mit einer Privatpraxis, und gleichzeitig wurden meine drei Töchter geboren, von denen die älteste … jetzt studiert sie Psychologie an der Universität Zürich!

Arbeiten Sie als selbstständige Psychotherapeutin in freier Praxis und/oder (ggf. zusätzlich) als delegierte Psychotherapeutin?

Ich habe immer privat gearbeitet, mit einem Netzwerk von Ärzt*innen und Kolleg*innen, die mir Fälle schicken und zu denen ich selbst andere Patient*innen schicke, wenn es einen Interessenkonflikt gibt, Zeiten der Überlastung usw.

Gibt es noch einen weiteren Beruf, eine weitere Beschäftigung, den/die Sie zusätzlich zur Psychotherapie ausüben?

Die Psychotherapie ist meine Haupttätigkeit, daneben schreibe ich Artikel: Seit vielen Jahren habe ich eine feste Kolumne in der Zeitschrift Cooperazione und gelegentliche Radio- und Fernsehkonsultationen.

Worauf haben Sie sich spezialisiert?

Ich arbeite mit Erwachsenen, selten mit Teenagern und nie mit Kindern; manchmal auch mit Paaren, die sich aber meistens in existenziellen Krisensituationen befinden, die mit bestimmten Momenten des Lebens verbunden sind: Scheidung, Entlassung, Krankheit, vorübergehende Krise.

Sind Sie mit Ihrer beruflichen Situation zufrieden?

Ich bin auch heute noch davon überzeugt, dass ich den besten und aufregendsten Beruf der Welt gewählt habe, und wenn ich über die Jahre zurückdenke, dann habe ich viele berufliche Befriedigungen, die mir das Herz erwärmen. Aber manchmal fühle ich auch die Schwere der grossen Verantwortung und spüre die Bewahrung so vieler Lebensgeschichten und so vieler Geheimnisse.

Wünschen Sie sich, dass etwas anders wäre?

Im Laufe der Jahre habe ich zunehmend auch in kollektiven und ausserschulischen Situationen gearbeitet, um die einsame Last, von der ich in der vorherigen Antwort sprach, zu erleichtern: Ich bin seit über einem Jahrzehnt im politischen Leben des Kantons und der Gemeinde für die Grünen aktiv, und ich halte wöchentliche Literaturkurse in der Filanda di Mendrisio (jeden Donnerstagabend, die «Pagine vagabonde»), nachdem ich im Kanton jahrelang Abendkurse für Erwachsene zu verschiedenen psychologischen Themen abgehalten habe.

Gibt es etwas, das Sie sich von Ihrem Verband, der ASP, wünschen?

Ja, Fortbildungsangebote. Ich möchte mich ständig weiterbilden, anderen Psychotherapeut*innen zuhören und lesen können, und mich mit der Entwicklung der Studien in unserem Beruf auseinandersetzen.

Fühlen Sie sich in Ihrem Berufsverband, der ASP, vertreten und gewürdigt?

Ich überlasse es gern anderen, unseren Beruf zu fördern und zu schützen, und es scheint mir, dass die Arbeit sehr gut gemacht wird.

Wo läge Ihr Fokus, wenn Sie im Vorstand der ASP wären?

Im Moment habe ich nicht die Zeit, mich aktiv in diesem Bereich zu engagieren.

Gibt es ein Amt in der ASP, das Sie gern bekleiden würden?

Nicht im Moment, vielleicht in der Zukunft.

Wie sähe Ihre Wunschsituation im gegebenen politischen Umfeld für Psychotherapeut*innen aus?

Ich bin überzeugt, dass die Arbeit von Psychotherapeut*innen mehr Gewicht und Autonomie haben sollte.

Welche Vision haben Sie für Ihren beruflichen Alltag?

Ich hatte schon immer eine humanistische und spirituelle Sichtweise, ausserhalb und jenseits jeder religiösen Zugehörigkeit oder Denkrichtung.

Claudia Crivelli Barella ist selbstständige Psychotherapeutin in Mendrisio und seit 2006 Mitglied der ASP.

Das Interview wurde schriftlich und auf Italienisch von Nicola Gianinazzi geführt und wurde hier in Übersetzung abgedruckt.