Jubiläums-Fachtagung des SIPT, 10. Oktober, Winterthur
Peter Schulthess
https://doi.org/10.30820/2504-5119-2020-2-13
Aus Anlass des 15. Geburtstages des Schweizer Instituts für Psychotraumatologie (SIPT) organisierte das Institut eine Fachtagung mit international renommierten ReferentInnen.
Erst einmal: Herzlichen Glückwunsch zum Jubiläum!
Ich erinnere mich an die Aufnahme des SIPT in die Schweizer Charta für Psychotherapie als deren erstes Fortbildungsinstitut. Zur Gründung kam es, indem ein leitender Arzt der Klinik Littenheid, die die erste Psychotraumatologie Station der Schweiz eröffnete, Rosmarie Barwinski anfragte, ob sie nicht eine Weiterbildung für die dort Arbeitenden konzipieren könnte. Frau Barwinski war damals bereits eng verbunden mit dem Deutschen Institut für Psychotraumatologie (DIPT) und traute sich zu, ein Schweizer Institut mit Sitz in Winterthur zu gründen, das von Beginn weg mit dem DIPT und dem Zentrum für interdisziplinäre Therapien in Konstanz kooperierte.
Das Institut ist seither gut gediehen. Heute führt das SIPT Fortbildungen für drei verschiedene Berufsgruppen durch: für PsychotherapeutInnen, BeraterInnen und PädagogInnen, und es bietet Kurse zu 43 verschiedenen Themen im Zusammenhang mit Trauma an. Auch werden sechs Fortbildungsgänge angeboten; darunter drei, die mit einem CAS des Gesundheits-Campus der St. Elisabeth Universität Bratislava mit Sitz in Luzern abschliessen. Bislang haben mehr als 1.000 Fachpersonen Fortbildungen am SIPT absolviert.
Fortbildungsveranstaltungen des SIPT sind von der ASP als Fortbildungsleistungen anerkannt. Das SIPT publiziert auf seiner Website eine Liste mit SIPT-zertifizierten PsychotherapeutInnen und PsychiaterInnen wie auch mit SIPT-zertifizierten Traumabehandlungsstationen von psychiatrischen Kliniken (https://psychotraumatologie-sipt.ch/home). Bisher haben sieben Traumbehandlungsstationen eine Schulung am SIPT absolviert.
Das SIPT hat sich in den 15 Jahren seines Bestehens zu einer anerkannten Institution entwickelt. Es lehrt einen psychodynamischen Ansatz in der Traumabehandlung, der sich von den verhaltenstherapeutisch orientierten Ansätzen im Verständnis psychischer Prozesse wohltuend abhebt.
An die hundert Personen nahmen an der Tagung in der alten Kaserne in Winterthur teil, alle mit Mundschutz, denn die Corona-Sicherheitsmassnahmen wollten beachtet sein. Mehr konnten Corona-bedingt nicht zugelassen werden. Ziel der Jubiläumstagung war es, neuere Entwicklungen im psychodynamischen Traumaverständnis darzustellen.
Nach einer Begrüssung und Einführung durch Rosmarie Barwinski hielten fünf Referierende einen je einstündigen Plenarvortrag. Den Abschluss der Tagung bildete eine Paneldiskussion mit allen Referierenden und der Möglichkeit, Fragen aus dem Publikum einzubringen.
Reinhard Fatke, Professor für Pädagogik an der Universität Zürich, eröffnete die Vortragsserie. Er unterteilte seine Präsentation in zwei Teile. Im ersten Teil nahm er eine kritische wissenschaftliche Sichtung der Rezeption des Traumaverständnisses in der «Traumapädagogik» vor. Er kritisierte, dass die Traumapädagogik sich zu oft an lerntheoretischen und neurowissenschaftlichen Konzepten der Verhaltenstherapien (Mehrzahl) orientiere und deren Verständnis von Psyche und Trauma folge, dabei jedoch vernachlässigt habe, die seit vielen Jahrzehnten vorhandene psychoanalytische Literatur zu beachten, die der therapeutischen bzw. pädagogischen Beziehung einen hohen Wert einräume. Er erinnerte an August Aichhorn, Fritz Redl oder Bruno Bettelheim, die einen milieutherapeutischen Ansatz entwickelt hatten für die «Kinder, die niemand wollte». Der zweite Teil seines Vortrages war mehr praxisorientiert. Er schilderte verschiedene Geschichten von Kindern und zeigte daran, wie Symbolisierungen den Kindern helfen, Unaussprechbares doch ausdrückbar zu machen im pädagogischen Diskurs.
Natascha Unfried, ehemalige Chefärztin des Sozialpädiatrischen Zentrums in Chemnitz und seit Gründung des SIPT als Dozentin dabei, präsentierte unter dem Titel «Geboren, um zu spielen» unter anderem anhand von Sequenzen aus Ultraschall-Filmen, wie man mit Kindern bereits vor der Geburt kommunizieren kann und wie sie sich spielend auf die Geburt und das extrauterine Leben vorbereiten. Früheste körperliche Empfindungen würden den Ursprung des psychischen Erfahrungsraums bei Kindern bilden. In pränatalen Erlebnissen können die Wurzeln für spätere traumatische Erfahrungen liegen. Sie schilderte auch Beispiele von Frühgeburten oder auch Zwillingsgeburten, bei denen ein Kind (von beiden) vor, während oder kurz nach der Geburt starb. Sie strich die Bedeutung der Gegenübertragung hervor, die differenziert als diagnostisches Mittel eingesetzt werden könne, und forderte dazu auf, bei anamnestischen Erhebungen auch die prä-, peri- und postnatale Phase zu berücksichtigen.
Pia Andreatta, Professorin an der Universität Innsbruck, sprach über die Bedeutung von Sprachbildern und Symbolisierungen in der Behandlung von Traumatisierten. Sie hat reichlich Erfahrung als Notfallpsychologin in Syrien, Sri Lanka, Libyen und anderen Krisengebieten, aber auch aus Notfallsituationen im Tirol mit Berg- und anderen Unfällen. Auf der Basis narrativer Interviews (etwa, wenn man bspw. durch schlechte Sicherung beim Bergsteigen oder bei einem Verkehrsunfall Schuld trägt am Tod einer anderen Person) erörterte sie die Bedeutung von Sprachbildern und sprachlicher Repräsentation in den Narrativen über traumatische Ereignisse, deren Symbolisierungen und was für eine Bedeutung dies für das therapeutische Geschehen hat.
Carl Eduard Scheidt, Professor für Psychiatrie und Psychosomatische Medizin und Psychotherapie an der Universität Freiburg i.Br., sprach über «Spiegelungs- und Resonanzprozesse in der psychoanalytischen Behandlung». Er betonte, dass Symbolisierung im Beziehungskontext erfolgen würde, und unterschied ein deklariertes Gedächtnis (sprachlich codiert) und ein nicht deklariertes Gedächtnis (prozedural). Auch beschrieb er vier Aspekte der Resonanz: Komplementarität (Bowlby), Spezifität (Stern), Ähnlichkeit (Meltzoff) und Differenz (Gergely). Alle vier Aspekte kennzeichnen wesentliche Merkmale der Resonanzerfahrung in der Psychotherapie. Im zweiten Teil seines Vortrages beschrieb er Möglichkeiten der empirischen Untersuchung von Synchronisation in der Interaktion.
Lutz Wittmann, Professor an der der IPU Berlin, sprach über «Traum und Trauma». Anhand von Aufzeichnungen aus Schlaflaboren und aus Therapieverläufen schilderte er posttraumatische Albträume. Albträume stören das Schlafverhalten und damit die Erholung der Träumenden massiv. Mit fortschreitender Therapie können sich auch sich wiederholende Albträume verändern und als Zeichen der Verarbeitung des traumatischen Erlebnisses gesehen werden.
Die Diskussion mit allen Referierenden zum Abschluss fand leider wie so oft vor bereits gelichteten Reihen statt, war aber inhaltlich spannend. Aufgenommen wurde insbesondere die Frage, wie wichtig es denn sei, in der Therapie zu symbolisieren. Herausgestrichen wurde nochmals, dass die Symbolisierung hilft, Unaussprechbares indirekt aussprechbar zu machen. Sie kann eine bildliche Sprache sein, zu deren Entwicklung Kunst- und Musiktherapie viel beitragen können. Eingebettet in eine tragende therapeutische oder pädagogische Beziehung kann Bildliches allmählich doch in verbale Sprache und emotionalen Ausdruck gebracht werden, was heilend wirkt.
Angesichts ihrer zurückhaltenden Art als Gastgeberin ist fast untergegangen, dass auf dem Büchertisch eine neue Publikation von Rosmarie Barwinski auflag, hätte Carl Eduard Scheidt in seiner Präsentation nicht darauf aufmerksam gemacht und die internationale Ausstrahlungskraft des SIPT erwähnt: Steuerungsprozesse in der Psychodynamischen Traumatherapie. Das Buch wird in der nächsten Ausgabe der Zeitschrift Psychotherapie-Wissenschaft besprochen werden.
Die Tagung war gut organisiert und lehrreich. Ich empfehle einmal mehr den Besuch solcher Tagungen zur Fortbildung, insbesondere wenn sie so hochkarätig besetzt sind und praktisch vor der Haustüre stattfinden.
Peter Schulthess ist Vorstandsmitglied der ASP.