Evaluation der ersten Akkreditierungsrunde durch das BAG

Peter Schulthess

https://doi.org/10.30820/2504-5119-2020-2-18

Alle Weiterbildungsgänge in Psychotherapie hatten sich nach Inkraftsetzung des Psychologieberufegesetzes (PsyG) zu akkreditieren. Die Akkreditierung erfolgte in vier Schritten: Als Erstes musste eine Selbstevaluation anhand eines Rasters des Bundesamtes für Gesundheit (BAG) durchgeführt und eingereicht werden. Das entsprechende Formular enthielt die Akkreditierungskriterien gemäss den erlassenen Qualitätsstandards. In einem zweiten Schritt fand eine Fremdevaluation durch von der Agentur für Qualitätssicherung (AAQ) eingesetzte ExpertInnengruppen, bestehend aus jeweils drei Personen. Deren Bericht mit Antrag auf Akkreditierung oder Ablehnung oder Akkreditierung unter Auflagen ging an die AAQ, die ihrerseits einen Bericht mit Antrag an das Eidgenössische Departement des Innern (EDI) verfasste und oft von der zuständigen ExpertInnengruppe abweichende Anträge enthielt. Die Psychologieberufekommission (PsyKo) hatte Gelegenheit, zu diesen Unterlagen Stellung zu nehmen. Im vierten Schritt entschied das EDI.

Anfang Mai 2020 legte das BAG einen Evaluationsbericht über diese erste Akkreditierungsrunde vor. Alle Beteiligten (verantwortliche Organisationen der Weiterbildungsgänge, ExpertInnen, PsyKo) wurden mit einem Fragebogen befragt, was sie als gut und was sie als schlecht empfunden hätten. Diese Rückmeldungen wurden in den Evaluationsbericht eingearbeitet.

Von 47 Gesuchen um Akkreditierung wurden vom EDI 40 positiv entschieden und sieben negativ.

Es fiel auf, dass keine der ExpertInnengruppen, die vor Ort die Weiterbildungsanbieter besucht hatten und sich damit ein konkretes Bild machen konnten, einen negativen Antrag gestellt hatte. Sämtliche Berichte beantragten die Akkreditierung mit Auflagen, wo sie Schwächen sahen. Anders die AAQ. Sie prüfte den Bericht der ExpertInnen auf Widersprüche und Schwächen im Bericht. Nach der Analyse der ExpertInnenberichte formulierte sie eine eigene Stellungnahme und wich oft von der Beurteilung der ExpertInnen ab, formulierte zusätzliche Auflagen und änderte positive in negative Anträge. Für fünf Weiterbildungsgänge beantragte sie die Ablehnung, weil ihrer Ansicht nach die von den ExpertInnen festgestellten Mängel zu zahlreich oder so grundlegend waren, dass sie auch nicht mit Auflagen behoben werden könnten. Die PsyKo konnte als beratendes Organ ebenfalls Stellung nehmen und dem EDI Empfehlungen vorschlagen. Sie empfahl lediglich 22 Weiterbildungsgänge zur Akkreditierung, oft verbunden mit dem Wunsch nach schärferen oder zusätzlichen Auflagen. Für 23 Weiterbildungen beantragte sie die Ablehnung, bei zweien gab sie gar keine Empfehlung ab, da sie den ExpertInnenbericht wie auch den Bericht der AAQ als unzureichende Grundlage für eine Beurteilung erachteten. Wie man sieht, ist das EDI jeweils der Empfehlung der AAQ gefolgt und hat die Stellungahmen der PsyKo allenfalls für Neuformulierungen der Auflagen genutzt. In zwei Fällen ist das EDI entgegen dem Antrag der AAQ der Empfehlung der PsyKo gefolgt. Kein einziger Weiterbildungsgang hat keine Auflagen erhalten. Die Zahl der Auflagen streute zwischen 1–14. Der Median lag bei 7.1.

Aus einer im BAG-Bericht enthaltenen Grafik ist ersichtlich, dass AAQ, PsyKo und EDI mit zunehmender Dauer strenger urteilten. Das dürfte in einem ordentlichen Verfahren nicht vorkommen! Das verletzt das Gebot der Gleichbehandlung und ist unseres Erachtens eines seriösen Akkreditierungsprozesses unwürdig.

Kritisch wurde von den Befragten vermerkt, dass es unbefriedigend war, dass 47 verschiedene ExpertInnengruppen manche auslegungsbedürftigen Standards unterschiedlich auslegten und beurteilten. Das führte zu ungleicher Behandlung. Neu wird wohl ein verkleinerter ExpertInnenpool gebildet, aus dem dieselben ExpertInnengruppen wiederholt zum Einsatz kommen sollen. Eine bessere Vorbereitung der ExpertInnenteams soll ermöglichen, dass sie die Qualitätsstandards in gleicher Weise auslegen.

Aufgrund des Berichtes und den Rückmeldungen der Beteiligten sollen die Qualitätsstandards im Hinblick auf die nächste Akkreditierungsrunde ergänzt werden. Mit der Revision der Qualitätsstandards will das BAG einen neuen Standard zur persönlichen Eignung der Weiterzubildenden einführen. Ausserdem sollen die Weiterbildungsgänge verpflichtet werden, die Therapien, die die Auszubildenden durchführen, systematisch mit wissenschaftlich validierten Instrumenten qualitativ wie auch quantitativ zu evaluieren.

Im Zusammenhang mit der Ablösung vom Delegationsmodell wurde im BAG auch die Dauer und der Ort der klinischen Praxis intensiv diskutiert. Das BAG behält sich je nach Entwicklung der Arbeiten am Anordnungsmodell vor, den Standard so zu ändern, dass beide Praxisjahre in einer Einrichtung der psychotherapeutisch-psychiatrischen Versorgung erfolgen müssen.

Den Weiterbildungsanbietern wurde Gelegenheit gegeben, zu diesen Änderungen schriftlich Rückmeldung zu geben. Viele Weiterbildungsanbietern verlangten eine physische Informationsveranstaltung zur Diskussion des Evaluationsberichtes und der vorgesehenen Änderungen der Qualitätsstandards. Diese wurde jedoch wieder abgesagt wegen der Entwicklung der COVID-19-Pandemie. Bis spätestens Ende November 2020 sollen die Vorlage für eine Revision der Akkreditierungsverordnung (AkkredV-PsyG) abgeschlossen und die Rechtsetzungsprozesse durchgeführt sein sowie die Inkraftsetzung durch das EDI erfolgen.

Was zu debattieren ist und als Kritik zu den neuen Standards von der ASP eingebracht wurde:

Zwei ExpertInnen hatten ihrer Stellungnahme ein Schreiben beigelegt, das von 22 ProfessorInnen der Psychologie und Psychotherapie mitunterzeichnet worden ist. Die ASP hat dieses Dokument unter Berufung auf das Öffentlichkeitsprinzip der Verwaltung herausverlangt. Es betraf den Standard der wissenschaftlichen Fundierung von Therapieverfahren. Darin wurde vorgeschlagen, diese Prüfung anhand vorliegender Forschung noch vor der Vor-Ort-Visite durchzuführen und je nach Resultat den Akkreditierungsprozess gar nicht weiterzuführen. Man solle sich an internationale Standards zur Beurteilung der Qualität von Forschung halten, etwa NICE oder die APA-Guidelines. Diese favorisieren die Forschungskonzepte der Evidenzbasierten Medizin, ein im wissenschaftlichen Diskurs für die Psychotherapieforschung umstrittenes und als veraltet erachtetes Konzept, das heutzutage vom Kontextmodell abgelöst wird.

Die ProfessorInnen boten dem BAG an, Kriterien auszuarbeiten, die diesen Normen entsprächen. Das BAG versicherte uns, dass diese Eingabe keine höhere Wirkung hätte als andere Eingaben. Sie wurde lediglich als Eingabe der beiden ExpertInnen gewertet und hatte keinen grösseren Impact auf die Revision der Q-Standards. Das BAG versicherte uns auch, dass bei einer allfälligen Ausformulierung der Kriterien zur Beurteilung einer genügenden forschungsbasierten wissenschaftlichen Beurteilung eines Therapieansatzes die Verbände und Weiterbildungsanbieter miteinbezogen würden. Die ASP verlangte, dass ein pluralistisches Wissenschafts- und Forschungsverständnis zur Anwendung kommen müsse.

Die Aufnahme der Beurteilung der persönlichen Eignung zum Psychotherapieberuf kann man akzeptieren, doch soll es den Weiterbildungsanbietern überlassen sein, wie sie diese beurteilen wollen. Allfällig vorgegebene Kriterien und In­strumente wären zu bekämpfen.

Die Frage der Evaluation von Therapien, die die Weiterzubildenden durchführen, gab und gibt Diskussionsstoff. In unserer Eingabe verlangten wir, diesen Standard zu streichen, da die Studierenden in Kliniken und Praxen eh dem dortigen Evaluationssystem unterstünden. Es muss unterschieden werden zwischen Therapieevaluation und Therapieforschung. Evaluation muss sich darauf beschränken zu erkennen, welche Fortschritte PatientInnen im Therapieprozess machen und ob die Therapierenden in Ausbildung umsetzen können, was sie gelernt haben. Die Wahl der Mittel muss den Weiterbildungsanbietern überlassen bleiben.

Deutlich wird das Erfordernis einer Schlussprüfung formuliert, die so gestaltet sein soll, dass sie zu beurteilen erlaubt, ob die notwendigen Kompetenzen zur eigenständigen Berufsausübung erreicht wurden. Sie soll eine schriftliche Prüfung und Fallstudien beinhalten, wie auch eine Beurteilung der persönlichen Eignung zum Beruf.

Bemerkt haben wir, dass einige bisherige (generische) Fächer nicht mehr verlangt werden. Wir haben unser Befremden darüber ausgedrückt und finden es brisant, dass zum Beispiel das Fach «Kritische Auseinandersetzung mit gesellschaftspolitischen und ethischen Fragen im Zusammenhang mit Psychotherapie» ohne Begründung wegfällt. Wir beantragten, zumindest dieses wieder aufzunehmen.

Wir bedauern, dass aufgrund der COVID-19-Situation keine offene Auseinandersetzung und Diskussion erfolgen konnte. Auf Wunsch verschiedener, auch nicht zur ASP gehörender Institute wollen wir das zumindest auf der Ebene der Weiterbildungsanbieter nachholen. Eine Tagung im Juni 2021 soll dazu dienen, dass sich die Weiterbildungsanbieter darüber austauschen können, welche Instrumente sie in den umstrittenen Standards nun eingeführt haben und welche Erfahrungen sie damit machen. Manche Institute, die eher spät in der ersten Akkreditierungsrunde beurteilt wurden, haben diese Auflage bereits erhalten und müssen sie umsetzen, noch bevor die Reakkreditierungsrunde beginnt. Anhand der neuen Q-Standards sollten sich die Weiterbildungsanbieter unseres Erachtens gemeinsam auf die Reakkreditierung genauso gut vorbereiten, wie die AAQ die ExpertInnen vorbereiten will.

Peter Schulthess ist Vorstandsmitglied der ASP.