Neuigkeiten aus der Romandie

Sandra Feroleto

https://doi.org/10.30820/2504-5199-2021-1-9

Die zurückliegenden Monate standen im Zeichen des Zweifels und waren geprägt vom Gefühl der Ohnmacht gegenüber der unvorhersehbaren Zukunft. Es war eine gesundheitspolitische Treibjagd, motiviert von der Angst vor Krankheit und dem Kampf gegen den Tod; das Augenmerk lag auf den Begriffen Risiko und Sicherheit, Schutz und Individualismus. Und während einige schon erste Lockerungsschritte wagen, ziehen andere die Zügel immer weiter an, um ein für alle Mal diese Gesundheitskrise zu überwinden, die uns seit nun schon mehr als einem Jahr auf eine harte Probe stellt. Diese einander widersprüchliche Bewegung unterstreicht die Gegensätzlichkeiten und Spannungsfelder.

In diesem Kontext ist es nicht unüblich, dass die Angst vor dem Fremden steigt. Der*Die Fremde wird heute als jemand bedrohliches wahrgenommen, jemand, der uns möglicherweise in Gefahr bringt. Es erscheint eine neue Form der verallgemeinerten Diskriminierung. Für eine Garantie auf einen Lebensraum von 2,25m2 streitet, schlägt man sich gar. Alle, die zu nahekommen, nicht zur eigenen Wohngemeinschaft gehören, sind per se Fremde, die man sehr schnell zumindest mit scharfen Blicken strafen könnte. Der soziale Zusammenhalt ist bröckelig und angespannt. Alleinlebende Personen sind isoliert. Junge Menschen von ihren sozialen Gemeinschaften abgeschnitten. Auf der Grundlage der Solidarität und zum Schutz von Leben hat ein*e jede*r eingeräumt, auf das eigene Leben – zumindest in Teilen – zu verzichten.

In der Romandie waren die Skigebiete diesen Winter immer voll, was der Welt Bilder bescherte, die im starken Kontrast zueinanderstanden; Bilder, die betroffenen machten und schockierten. Von einerseits völlig überfüllten Warteschlangen und brechend vollen Gondelbahnen und Zügen, und andererseits von verwaisten Strassen und verrammelten Schaufenstern, von denen ein grösserer Teil wahrscheinlich leider nie wieder geöffnet wird. So viele Unklarheiten und das andauernde Gefühl der Willkür erschüttern viele Menschen und bringen sie aus dem Gleichgewicht.

Was bewahren wir uns von unserer Beziehung zu Anderen, zu deren Andersartigkeit, Unterschiedlichkeit, nach dieser intensiven Zeit der Pandemie? Wie wird sich unser Verhältnis verändern, wo diese doch momentan bestimmt wird durch staatliche Anordnungen, bei denen man uns mitteilt, ob wir uns ein wenig, sehr wenig, gar nicht oder aber komplett frei bewegen dürfen? Was bleibt morgen noch von unseren Neigungen, uns an der Vergangenheit festzuklammern und die Zukunft komplett voraussagen zu wollen? Wird diese Pandemie uns helfen, eher im Moment zu leben und diesen zu unserem wesentlichsten Bezugspunkt zu machen?

Wird dieses neue Verhältnis dazu führen, dass wir Ereignisse so annehmen, wie sie geschehen, und damit aufhören, gegen alles ankämpfen oder Dinge in einen anderen Verlauf bringen zu wollen? Ein solches Lockerlassen, so es denn eintritt, könnte dazu führen, dass wir unsere durch Unwissenheit, diffuse Ängste, Vorurteile, Aggressivität und mangelnde Empathie aufgebauten Abwehrmechanismen abbauen. Es wären dieselben Zutaten, die auch zu Rassendiskriminierung und Rassismus führen könnten, die in der Schweiz immer noch stark präsent sind.

Dies zumindest wünsche ich mir auf jeden Fall. Dass die erzwungene soziale Distanz, aus der Angst entstanden, die Wurzeln für eine Solidarität entstehen lässt, für ein Streben nach Gemeinsamkeit. Dinge, die wir in unseren westlichen Gesellschaften ein wenig aus den Augen verloren haben. Und Dinge, die dann natürlich die Grenzen der Unterschiedlichkeit überschreiten (ob nun des Geschlechts, der Hautfarbe, der sexuellen Orientierung, der Weltanschauung …).

Und ich frage mich auch, welchen Stellenwert die Unterhaltung in unseren Leben einnehmen wird, sobald alles wieder geöffnet ist. All die Familien, die im Moment eher nur in ihrer Routine aus Arbeit-Heimweg-Schlaf verharren: Werden sie wieder zu den normalen Aktivitäten zurückkehren, nachdem sie so lange von Reisen, Restaurantbesuchen, Museen, Theatern und Kinos Abstand nehmen mussten?

Es beruhigt mich, dass kleine Kinder bewiesen haben, dass sie in der Lage sind, unseren Gesichtsausdruck trotz der Masken zu lesen, die einen Teil unserer Gesichter und unseres Lächelns stehlen, denn sie können unsere Blicke, unsere Gesichtsfältchen, unsere Augenbrauen erkennen, verstehen unsere Ausstrahlung und den Tonfall unserer Stimme und machen so aus, was wir fühlen. Und das ist gut so … denn diese Kinder sind die Zukunft!

Indessen, zu der Zeit, in der diese Zeilen zur Redaktion gesandt werden, haben wir erfahren, dass der Bundesrat beschlossen hat, das neue Erstattungsmodell für die Psychotherapie, das sogenannte «Anordnungsmodell», umzusetzen und damit das veraltete Delegationsmodell endgültig abzuschaffen, womit der diskriminierenden Medizin ein Ende gesetzt wird. Einerseits, weil sie immer noch zu sehr sortiert und festlegt, welche Teilgebiete der menschlichen Gesundheit «grundlegend» sind, und welche nur als Ergänzung betrachtet werden sollen – auch andere müssen in diesem Bereich noch kämpfen, ich denke da insbesondere an Zahnärzt*innen, deren Fachgebiet geradezu essenziell für das körperliche Wohlbefinden ist. Und andererseits, weil das bestehende System dazu führt, dass Psychotherapie zu einer Luxusdienstleistung wird, die nur für einen winzigen Teil der Bevölkerung zugänglich ist.

Aber jetzt ist es soweit, der Kampf geht endlich zu Ende. Im Juli 2022 soll diese Verordnung in Kraft treten, das ist noch mehr als ein Jahr Wartezeit – aber im Vergleich zu den Jahrzehnten, die mit Diskussionen und ständigem Aufschieben der Problematik verbracht wurden, ist es doch nur ein Katzensprung bis dahin. Ich bin froh, dass der Gesundheitsausschuss der Fédération romande des consommateurs, wo wir schon seitdem ich Mitglied bin das Ausmass der psychischen Gesundheit darlegen, diese Problematiken aufgegriffen hat, wodurch es zu einer parlamentarischen Interpellation aus der Romandie kam.

Ein weiterer Schritt auf dem Weg der Anerkennung unseres Berufsstandes, und vielleicht eine Unterstützung dabei, uns in Zukunft nicht mehr als Mediziner*innen zu sehen, die man besser nicht aufsucht, sondern eher als wesentliche Akteur*innen des Gesundheitssystems, im vollen Einsatz für das psychologische Wohlbefinden unserer Mitbürger*innen. Und diesbezüglich zeigen die Statistiken leider, dass es am Ende dieser Pandemie, die viele unserer alltäglichen Fixpunkte stört, noch viel zu tun geben wird … Machen Sie sich also in der Romandie wie auch anderswo bereit für 2022!

Sandra Feroleto ist Vorstandsmitglied der ASP und Delegierte für die Romandie.