Nikolaus Melcop
https://doi.org/10.30820/2504-5199-2021-1-20
Am 1. September 2020 begann in Deutschland eine neue Ära der Psychotherapeutenausbildung. Wer psychisch kranke Menschen als Psychotherapeut*in behandeln möchte, wird dafür zukünftig zunächst ein spezielles Universitätsstudium und danach eine berufliche Weiterbildung absolvieren. Wenn ein Studium bzw. eine Psychotherapieausbildung nach dem bisher geltenden «alten» Recht vor dem 1. September 2020 begonnen wurde – mit dem Berufsziel Psychologische*r Psychotherapeut*in oder Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut*in –, kann diese Ausbildung in der Regel noch bis zum Jahr 2032 abgeschlossen werden.
In dem nach «neuem» Recht konzipierten speziellen Universitätsstudium erwerben Studierende in Lehre und Praxis bereits an der Hochschule psychotherapeutische Kernkompetenzen in der Diagnostik, Beratung und Behandlung psychisch kranker Menschen. Ausserdem lernen sie in praktischen Teilen des Studiums mehrere Monate lang ihren künftigen beruflichen Alltag in Praxen oder Kliniken kennen.
Die Studieninhalte sind in der Approbationsordnung für Psychotherapeut*innen festgelegt, damit eine hochqualifizierte Versorgung psychisch kranker Menschen durch Psychotherapeut*innen gewährleistet werden kann. Das neue Studium kann als ein umfassend weiterentwickeltes «Psychologie»-Studium gesehen werden. Der dreijährige Bachelorstudiengang vermittelt psychotherapiespezifische Inhalte und ist gleichzeitig aber für weitere Inhalte offen. Dadurch sind im nachfolgenden Master Spezialisierungen auch für andere Tätigkeitsfelder als Psychotherapie möglich. Der zweijährige Masterstudiengang ist dagegen auf psychotherapeutische Inhalte festgelegt. Er muss Inhalte vermitteln, die notwendig sind, um später die staatliche Prüfung für den Beruf «Psychotherapeut*in» zu bestehen. Diese Prüfung ist eine zusätzliche Prüfung nach dem Masterabschluss. Wer sie besteht, kann die Approbation beantragen, also die staatliche Zulassung, um als Psychotherapeut*in selbstständig und eigenverantwortlich heilkundlich arbeiten zu können. Wer approbiert ist, übt einen akademischen Heilberuf aus.
Im Herbst 2020 sind in Deutschland an den meisten Standorten staatlicher und an einzelnen privaten Universitäten die neuen Bachelorstudiengänge gestartet.
Das neue Universitätsstudium, das bereits auf den Beruf als Psychotherapeut*in zugeschnitten ist, ist der erste Schritt für die zukünftigen Psychotherapeut*innen. Der zweite Schritt ist eine voraussichtlich fünfjährige berufliche Weiterbildung. Sie qualifiziert für die Berufsbezeichnung «Fachpsychotherapeut*in». Wer diese Bezeichnung führen darf, hat damit dann die Voraussetzung dafür erworben, Versicherte der gesetzlichen Krankenversicherung zum Beispiel in einer eigenen Praxis behandeln.
Die Weiterbildung wird hauptberuflich und in Anstellung an zugelassenen Weiterbildungsstätten stattfinden, die entweder zur ambulanten oder zur stationären Versorgung gehören oder die in anderer Form Angebote für Patient*innen mit psychischen Störungen machen wie zum Beispiel Einrichtungen der Jugendhilfe oder Beratungsstellen. Wer künftig mit der Weiterbildung beginnt, hat einen Anspruch auf eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung.
Vor der Weiterbildung müssen sich die approbierten Psychotherapeut*innen für eine Weiterbildung in einem bestimmten Fachgebiet entscheiden, also ob sie Kinder und Jugendliche oder Erwachsene oder Patient*innen mit Hirnschädigungen behandeln wollen. Sie müssen sich in Bezug auf die beiden Weiterbildungsgebiete Kinder und Jugendliche oder Erwachsene ferner festlegen, welches wissenschaftlich anerkannte psychotherapeutische Verfahren sie erlernen möchten. Aktuell sind Psychoanalyse und tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie, systemische Therapie und Verhaltenstherapie durch den wissenschaftlichen Beirat Psychotherapie als Psychotherapieverfahren anerkannt. Diese Verfahren sind auch im Rahmen der ambulanten Versorgung gesetzlich Krankenversicherter zugelassen. Die Grundzüge der verschiedenen Verfahren werden bereits im Studium vermittelt. In der Weiterbildung wird dann ein Verfahren vertieft, mit dem später behandelt werden darf. Es ist darüber hinaus auch möglich, in einer Weiterbildung weitere Psychotherapieverfahren und Spezialisierungen zusätzlich zu erlernen.
Grundlage der zukünftigen Weitbildung werden Weiterbildungsordnungen sein, die von den Psychotherapeutenkammern erlassen werden. Derzeit wird unter Federführung der Bundespsychotherapeutenkammer und mit breiter Beteiligung von Vertreter*innen der Landespsychotherapeutenkammern, der unterschiedlichen Fach- und Berufsverbände, der Ausbildungsinstitute, der Universitäten, der Studierenden und der Ausbildungsteilnehmenden sowie weiterer Expert*innen die Musterweiterbildungsordnung entwickelt. Dort wird festgelegt sein, welche Voraussetzungen und Anforderungen zukünftig von den Weitbildungsteilnehmenden, den Weiterbildungsstätten und weiterbildungsbefugten Kolleg*innen zu erfüllen sein werden. Den Psychotherapeutenkammern wird neben der Berufsaufsicht dann auch die Aufgabe zukommen, die Qualität der Weiterbildung zu überwachen, Weiterbildungsstätten und Weiterbildungsbefugte zuzulassen und die Weiterbildungsprüfungen durchzuführen.
Nikolaus Melcop, Dr., ist Psychologischer Psychotherapeut und Diplom-Psychologe, Vizepräsident der Bundespsychotherapeutenkammer und Präsident der Psychotherapeutenkammer Bayern. Er ist niedergelassen in eigener Praxis in Landshut, Bayern. E-Mail: melcop@bptk.de