Marianne Roth
https://doi.org/10.30820/2504-5199-2021-1-22
Schutzmassnahme wider Willen
Wohl kaum ein Objekt, das sich im Laufe der Covid-19-Pandemie als Schutzmassnahme etabliert hat, war und ist so stark stigmatisiert wie die Gesichtsmaske. Was wurde nicht alles über den Mund-Nasen-Schutz erzählt, bevor in der Fachwelt, der Politik und der Gesellschaft einigermassen anerkannt worden ist, dass das Tragen von Masken eine Schutzfunktion gegen das Coronavirus bewirkt. Lange wurde die Wirksamkeit infrage gestellt oder gar von Bundesbeamten geleugnet, nur um von der Tatsache abzulenken, dass aufgrund von Fehleinschätzungen Gesichtsmasken zu Beginn der Pandemie Mangelware waren.
Was in den ostasiatischen Ländern auch schon vor der Pandemie gang und gäbe war und widerstandslos akzeptiert wurde, hat sich in unserer westlichen Welt zu Beginn nur mit grossem Widerstand und zögerlich durchgesetzt. Während im asiatischen Raum das Tragen einer Gesichtsmaske auch eine Respektsbezeugung Mitmenschen gegenüber ist, tun wir uns im Westen schwer damit. Die Gründe dafür sind vielfältig: Scham, falscher Stolz, Verweigerung, Bei-uns-verbirgt-man-das-Gesicht-nicht, Wenn-du-nicht-dann-ich-auch-nicht, oder auch ganz einfach, weil die Wirksamkeit verleugnet wurde.
Maskenverweigerung als Statement
Einige «mutige» Machthaber aus dem eher autokratischen Spektrum von Regierungsvertretern haben mit ihrem Verhalten den starken Mann gemimt. Indem sie das Virus verniedlichten, das Tragen von Masken verweigerten und sich damit in der Öffentlichkeit brüsteten, brachten sie ohne Bedenken auch andere Menschen in Gefahr. Die Ablehnung der Maske wurde zum politischen Statement erhoben und als Widerstand gegen das «Establishment» zelebriert. Es wurde von den Hardlinern die Meinung vertreten, die Schutzmassnahmen würden die Wirtschaft zerstören. Man nahm lieber hunderttausende von Toten in Kauf, als dass man bereit war, das repetitiv beschworene Maskenverweigerungsrecht aufzugeben. Das fahrlässige Vorgehen war ein Betrug an der Bevölkerung und liess diese ganz einfach im Stich.
Objekt von Verschwörungstheorien
Die Maske trieb tausende von Gegner*innen auf die Strassen der Städte. Es wurden Flugblätter mit den abstrusesten Behauptungen verteilt, das Tragen von Masken führe zu Bewusstlosigkeit, zu Hautpilzen und zur Vermehrung von Bakterien in der Lunge. Es gab Kampagnen vor Schulhäusern, wo die Gegner*innen versuchten, Kinder und Eltern von der angeblichen Gefährlichkeit und Unwirksamkeit von Masken zu überzeugen und sie vom Tragen abzuhalten oder abzubringen.
Nicht nur wurde den Masken verquere Eigenschaften angedichtet. Gegner von Corona-Schutzmassnahmen beschafften sich via Internet fragwürdige Atteste von coronakritischen Ärzt*innen und Naturheilpraktiker*innen, um zu bescheinigen, dass sie aus medizinischen Gründen keine Maske tragen können. Mindestens den ausstellenden Ärzt*innen muss bewusst gewesen sein, dass ihr Treiben illegal war.
Masken als Politikum
Das Tragen einer Gesichtsmaske wurde in der Schweiz zunächst nur empfohlen, Grund genug, sich nicht daran zu halten. Der Bundesrat setzte lange auf eigenverantwortliches Handeln. Erst nachdem mit den Lockerungen der Massnahmen Mitte Juni letzten Jahres die Fallzahlen wieder zu steigen begannen, wurde Anfang Juli vorerst in den öffentlichen Verkehrsmitteln eine Maskenpflicht verordnet. Es war interessant festzustellen, dass die bundesrätliche Empfehlung nicht befolgt worden war, die Verordnung hingegen vom Grossteil der Bevölkerung widerstandslos angenommen wurde. Denn nun trugen die allermeisten Benutzer*innen öffentlicher Verkehrsmittel eine Maske. Für alle öffentlich zugänglichen Einrichtungen und am Arbeitsplatz setzte man nach wie vor auf Schutzkonzepte, hauptsächlich bestehend aus Abstands- und Hygieneregeln.
Als im Herbst der Bundesrat aufgrund der rasant steigenden Fallzahlen einen zweiten Lockdown verordnete, wurde die Maskenpflicht endlich auch in Innenräumen als obligatorisch erklärt. Der Umgang der Leute damit ist jedoch eine andere Sache. Masken wurden Gegenstand von Littering im öffentlichen Raum – ob aus Trotz oder Nachlässigkeit sei dahingestellt. Auch wenn x-mal erklärt worden ist, wie eine Maske korrekt anzuziehen und zu tragen sei, pflegt eine sehr grosse Anzahl von Personen einen sehr fahrlässigen Umgang damit. Sie wird benutzt und zusammengefaltet in der Hosentasche versorgt, unters Kinn geschoben, unter der Nase oder am Handgelenk getragen und manch eine Maske hinterlässt den Eindruck, als hätte sie schon bessere Tage gesehen. Und doch ist die Wirkung des neuen «Accessoires» unbestritten.
Maskenpflicht und Maskendispens für Psychotherapeut*innen
Mit der neuen Covid-19-Verordnung besondere Lage wurde die Maskenpflicht auch für Psychotherapeut*innen zur Pflicht erklärt. Wir haben unser Sicherheitskonzept entsprechend angepasst. Allerdings kann die Arbeit für Therapierende dadurch behindert werden, da die Kommunikation stark eingeschränkt wird. Die Aussprache wird gedämpft, die gegenseitige Mimik kann nicht erkannt werden, es kann ein unangenehmes Distanzgefühl entstehen und je nach psychischer Störung kann die Maske Angstgefühle oder Panikattacken auslösen. Wir empfehlen deshalb, dass in Fällen, in denen das Tragen einer Maske die Therapie behindert, diese abgelegt werden darf. Bedingung ist, dass alle Beteiligten dazu ihr Einverständnis geben. Zudem müssen die Abstands- und Hygieneregeln in jedem Fall eigehalten werden. Es soll auch die Durchführung einer fernmündlichen Therapie geprüft werden, sofern diese den Therapieerfolg nicht gefährdet.
In der Schweiz ist es Ärzt*innen und Psychotherapeut*innen vorbehalten, in verhältnismässigen und vertretbaren Ausnahmefällen eine Maskendispens in Form eines Attests auszustellen, dies zudem nur für Klient*innen und Patient*innen, die sich bei ihnen in Behandlung befinden. Der Grund für die Ausstellung einer Dispens muss in der Patientenakte vermerkt werden. Eine Kopie der datierten Maskendispens sollte dort hinterlegt werden. Jeglicher Missbrauch eines Attests wird geahndet.
Marianne Roth ist Geschäftsleiterin der ASP.