Andreas Weichselbraun & Beatrix Wimmer
Träumen, wovon?
World Dreaming – 6th. World Congress for Psychotherapy 24.-29. August 2011, Sydney, Australia
Adrian Rhodes, Präsident der EAP, fasste am letzten Tag der Konferenz den Charakter der Vielseitigkeit dieser Tagung sehr treffend mit einem Vergleich zu dem kunstvoll gestalteten Brunnen vor dem Kongresszentrum am Darling Harbour, Sydney, etwa so zusammen: ähnlich wie bei dem Brunnen führen diametral entgegengesetzte spiralförmige Bahnen, um trockenen Fußes zum Zentrum des Brunnens gelangen zu können, zum Zentrum der Heilung in der Psychotherapie. Es gibt keinen einzig wahren Weg, und auch diametral entgegengesetzte Ansätze führen zum Kern.
Sie werden nun denken, das sei wohl Zweck einer solchen Tagung. Und dennoch: das Programm hätte nicht gegensätzlicher sein können. Von einem wissenschaftlich dominierten Zugang (evidence based) hin zu schamanistischen Heilpraktiken war alles vertreten. Was aber sich als übergreifendes Thema über alle Gegensätze hinweg spannte, war das Trauma in allen denkbaren Variationen. Von den individuellen Schicksalen Einzelner hin zu denen ganzer Volksgruppen, zugefügt von Einzeltätern, durch Gruppen oder per System. Besonders berührend war dabei durch die geografische Nähe die Auseinandersetzung mit der Kolonialisierung Australiens und Neuseelands und deren Auswirkung auf die Aborigines und Maori. Es wurde länderspezifisch deutlich, welcher systematischen Verfolgung diese indigenen Völker ausgesetzt waren, immer noch sind und mit welchem Resultat. Von zerrissenen Familien, von Gewalt und Substanzmissbrauch, systematischer Verfolgung, ja von einer verlorenen Generation und Genozid wurde gesprochen. Von Trauer und Wut war die Rede, aber auch von Wiedergutmachung und dem Versuch einer Heilung. Unterschiedlich waren die Projekte, die dazu präsentiert wurden. Einige wurden im Rahmen dieser Tagung mit dem „Sigmund Freud Preis“ der Stadt Wien ausgezeichnet und bedankt, wie Helen Millroy mit ihrer persönlichen und bildstarken, im Stil der „aboriginal art“ gehaltenen Reise zurück zu den indigenen Wurzeln des Holismus (Healing images, healing stories, a new dreaming), oder Lorraine Peeters, ebenfalls indigener Abstammung, die mit ihrem eindrucksvoll strukturierten Marumali Project Hilfestellung in der Bewältigung der genannten individuellen Trauer und Wut von Aborigines leistet. (siehe auch: http://www.marumali.com.au/ ). Besonders hervorzuheben ist auch die Gruppe von Ngangkaris, den traditionellen HeilerInnen der Aborigines, die den ZuhörerInnen von den Traditionen und Vorgangsweisen ihrer Heilkunst berichteten.
Der Kontrast hätte manchmal nicht stärker sein können: von der sektiererisch anmutenden, wissenschaftlich-kritischen Hinterfragung der relativen (Un)wirksamkeit von Medikamenten (Colin Ross: Trauma, dissociation and psychosis) bis zum einfühlsam dargelegten, am Schnittpunkt mit traditionellen HeilerInnen angesiedelten Primary Care Projekt in den Slums von Kapstadt (Astrid Berg: The universality of infant-parent psychotherapy – a South African model). Letzteres war insofern spannend, als das Projekt zwar begleitend beforscht wird, aber nahezu ausschließlich auf Beständigkeit ausgerichtet ist, was vor Ort in Kapstadt Erstaunen ausgelöst hat, weil die Autorin sich nicht in den Tross weiterziehender wissenschaftlicher Projektstudien, die nur punktuell und kurzfristig finanziert sind, einreihen will.
Wir kommen ja nicht mehr umhin, (wissenschaftliche) Beweismittel für die Wirksamkeit unserer Tätigkeit zu sammeln, und dennoch war es erfrischend zu erleben, dass über die Schulen hinweg Konsens zu bestehen scheint, dass die Begegnung und Begleitung das Zentrum des eingangs erwähnten Zierbrunnens zu sein scheint. Ob dies das Suchen nach dem "lost spirit" als dem Auslöser von Krankheit im Sinne der Ngangkaris oder die Suche nach Vielfalt von Ausdruck bei der Psychotherapie mit den sprachlich verarmten, an Psychose Erkrankten ist (Robert Schweitzer: Metacognitive narrative psychotherapy for people with schizophrenia), erscheint unerheblich.
Die mannigfaltige Erscheinung von Trauma und menschlicher Verfolgung hin bis zum Genozid erfordert vielfältige Methoden der Heilung, und dieser Kongress machte deutlich, wie sich weltweit Menschen bemühen, in unterschiedlichsten Zugängen zur Genesung und Heilung der verletzten und traumatisierten Menschheit beizutragen. Doch nicht nur das: die nicht zu übersehende Präsenz der indigenen Völker Australiens und Neuseelands und die vielfältige Repräsentanz ihres Zugangs zur Welt auf dieser Tagung hat es den TeilnehmerInnen ermöglicht, Einblick zu gewinnen in ihr Selbstverständnis der Vernetztheit und Bezogenheit von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, von Realität und Spiritualität, von Nachhaltigkeit und Ressourcenschonung.
Fast schien es, als ob es um den "lost spirit" der Welt ginge, den es wieder zu finden gilt. In diesem Sinne gewann das Thema der Tagung "World Dreaming" an zusätzlicher, wenn nicht doppelter Bedeutung: der Traum nicht nur als ein individuelles Einzelerlebnis, als Versuch eines persönlichen Gestaltschlusses, sondern als kollektive Vision der Psychotherapie als ein Hoffnungsträger für die Zukunft.
So war die Weltkonferenz für Psychotherapie ein Ort der Begegnung, des Austauschs und Ausdrucks gegenseitiger Wertschätzung und nicht zuletzt der Hoffnung. Wir freuen uns auf eine Begegnung mit den traditionellen und psychotherapeutisch in der Heilung tätigen Kollegen und Kolleginnen in Durban, Südafrika 2014!
Autoren
Andreas Weichselbraun, Sheffield, UK
Beatrix Wimmer, Wien, Österreich