Spiritualität, Migration und Psychiatrie

Autor/innen

  • Michele Mattia

DOI:

https://doi.org/10.30820/1664-9583-2019-1-69

Schlagworte:

Kulturpsychiatrie, Spiritualität, Religion, Überzeugungen, Bewältigungsstrategie (Coping), Vorurteile, Psychotherapie

Abstract

Die psychiatrische und psychologische Tätigkeit wird seit Jahrhunderten ausgeübt. Dennoch haben religiöse und spirituelle Fragen weiterhin Auswirkungen auf die Perspektiven der Patienten, insbesondere in Bezug auf ihre Gesundheit und dem Umgang mit den psychischen Störungen, von denen sie betroffen sind. Religiöse und spirituelle Überzeugungen sind weit verbreitet, mehr als man denken könnte, unter all denen, die an einer affektiven, psychotischen oder Angststörung leiden. Selten sind sich Psychotherapeuten und Psychiater der Bedeutung bewusst, die Religion im psychischen Konstrukt des Subjekts einnehmen kann. Es fällt ihnen schwer, Werte wie Spiritualität und Religion innerhalb der Strukturierung des psychischen Apparats der Menschen zu verstehen und nachzuvollziehen, wie weit diese Werte die Beziehungen zur Familie, zur Gesellschaft, zur Arbeit oder zur Konstruktion der eigenen persönlichen Identität unterstützen oder beeinträchtigen können. Dieser Artikel stellt einzelne klinische Fälle vor, um den Zusammenhang zwischen Religion, Spiritualität und psychiatrischen Störungen zu diskutieren. Insbesondere werden die fördernden, induzierenden oder schützenden Auswirkungen der verschiedenen religiösen Praktiken auf die jeweiligen Pathologien hervorgehoben. Wir möchten besonders das Verhältnis zwischen den drei monotheistischen Weltreligionen (Christentum, Islam und Judentum) und den anderen drei grossen Religionen Buddhismus und Hinduismus sowie der Evangelischen Kirche untersuchen. Es kommen sechs klinische Fälle zur Darstellung. In einem Fall geht es um Depressionen und Angstzustände und die schützende Wirkung einiger hinduistischer Praktiken. Zwei weitere Fälle fokussieren auf depressive Symptome und die Schutzwirkung der katholischen Religion. Ein weiterer Fall behandelt den religiösen Glaubenswechsel am Beispiel eines jungen Schweizer Philosophiestudenten. Er war Katholik und wechselte zum Islam. Diese Veränderung führte zunächst zu einem signifikanten Rückgang der psychiatrischen Störungen (er litt an einer besonders schweren Neurose), entwickelte sich aber später in einen aggressiven und gewalttätigen Zustand. Sein Geist fand keine Ruhe und entwickelte ein starkes Risiko der Radikalisierung. In einem weiteren Fall wird die lindernde Wirkung der meditativen Praktiken des Buddhismus verdeutlicht. Ein junger Schweizer, der seit vielen Jahren an verschiedenen Arten von Schmerz litt, entwickelte nach der Begegnung mit der buddhistischen Religion die Fähigkeit, seine Schmerzen zu bewältigen und den Konsum von Analgetika und Antidepressiva deutlich zu reduzieren. Im letzten Fall wird der schützende und entspannende Einfluss der evangelischen Kirche bei einer Frau mit Störung durch Panikattacken und hysterischem Bolus untersucht. Wir werden auch die Vorurteile analysieren, die den Psychotherapeuten in seiner klinischen Praxis blockieren können, und die Muster, mit denen er sich auseinandersetzen muss, um sich aus seinen inneren Blockaden zu befreien.

Autor/innen-Biografie

Michele Mattia

Michele Mattia, FMH Psychiatrie und Psychotherapie, Präsidentder Vereinigung der italienischen Schweiz für Angst, Depression und Zwangsstörungen (Asi-Adoc), Dozent an der Universität Varese, Psychiatrie; Lehrtätigkeit am Mailänder Familientherapiezentrum.

Veröffentlicht

01.04.2019

Zitationsvorschlag

Mattia, M. (2019). Spiritualität, Migration und Psychiatrie. Psychotherapie-Wissenschaft, 9(1), 69–75. https://doi.org/10.30820/1664-9583-2019-1-69

Ausgabe

Rubrik

Titelthema: Kultur, Religion und Psychotherapie